Peter Eötvös über Karlheinz Stockhausen

Der Komponist und Dirigent Peter Eötvös über seinen Kollegen Karlheinz Stockhausen
Robert Braunmüller |
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Der Komponist und Dirigent Peter Eötvös über seinen Kollegen Karlheinz Stockhausen

Die musica viva des Bayerischen Rundfunks widmet dem Komponisten Karlheinz Stockhausen ein Festival mit Klavier- und Orchestermusik. Am Freitag und Sonntag dirigiert Peter Eötvös die „Hymnen“ für Orchester. Er hat viele Jahre mit dem Komponisten zusammengearbeitet.

Herr Eötvös, wie haben Sie Stockhausen kennengelernt?

PETER EÖTVÖS: Stücke wie „Gruppen“ oder den „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“ hatte ich schon in Budapest kennengelernt. 1966 begann ich in Köln mit meinem Dirigierstudium. Am ersten Tag, als ich die Hochschule betrat, hing am Tor ein Zettel: Stockhausen sucht einen Kopisten für „Telemusik“. Da dachte ich: Das bin ich. Und ihm gefiel meine Handschrift.

Wie ging es dann weiter?

1968 wurde ich Pianist in seinem Ensemble. Dann war ich bis zu seinem Tod mit ihm professionell verbunden: erst als Mitarbeiter des Studios für Elektronische Musik in Köln, später vor allem als Dirigent. Ich habe unter anderem seine Oper „Donnerstag“ aus „Licht“ an der Mailänder Scala uraufgeführt.

Wieso ist Stockhausen für die Musik des 20. Jahrhunderts so wichtig?

Er wollte nach dem Krieg bewusst mit der Ästhetik der Vergangenheit brechen. Man wollte eine neue Welt aufbauen. Anton Webern war der Meister dieser Generation: Seine Musik stand für Sauberkeit und Klarheit. Im Zentrum von Stockhausens Musik stand die Erfindung neuer Klänge. Als ihm die Instrumente nicht mehr ausreichten, ist er ins Studio gegangen und hat mit der Hilfe von Elektronik neue Klänge erfunden.

Wie kam Stockhausen auf das Cover des Beatles-Albums „Sgt. Pepper’s“?

Die Popgruppen der späten 1960er Jahre hatten das gleiche Ziel wie Stockhausen: neue Klänge zu erschaffen. Auch Miles Davis und andere Popgruppen nennen ihn deshalb als Vorbild.

Auf vielen Fotos sieht Stockhausen wie ein Guru aus.

Das war er auch. Er hat diese Rolle sehr bewusst gespielt – ein wenig wie der Maler Salvador Dalí. Aber man darf nicht vergessen: In der Zeit um 1968 waren die Gurus überall.

Stockhausen hat behauptet, auf dem Stern Sirius ausgebildet worden zu sein. Auch sonst spielt der Weltraum bei ihm eine große Rolle. Ist das nicht ein bisschen esoterisch?

Als Stockhausen „Kontrapunkte“, den „Gesang der Jünglinge“ oder „Gruppen“ komponierte“, war er kaum 30 Jahre alt. Diese Stücke wurden sofort als Meisterwerke anerkannt. Das führte zu einem starken Selbstbewusstsein, zu einem Gefühl „Ich bin nicht von dieser Erde“. Ihm war das sehr ernst. Am Ende seines Lebens sagte er zu mir: „Ich gehe nach Hause.“ Das ist ein schönes Bewusstsein, so zu sterben, finde ich. Da stirbt man anders. Man wechselt den Ort.

Stockhausen nannte die Anschläge vom 11. September „das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat“. Das führte damals zu einem Skandal. Was hat er damit gemeint?

Stockhausen hatte immer eine Begabung für Skandale. Er bewunderte Menschen, die über sich mehr geben als gewöhnlich und über sich hinauswachsen, ob in der Kunst oder in der Physik. Ihn faszinierte ganz abstrakt, dass sich jemand eine Idee ausdenkt, sie ausführt und die Welt in Bewegung bringt. Natürlich ist sein Satz naiv, aber ich möchte ihn nicht bewerten, weder positiv noch negativ.

Sie dirigieren seine „Hymnen“ zweimal: einmal mit dem Symphonieorchester des BR, dann mit dem Bayerischen Landesjugendorchester.

Ich hab die „Hymnen“ bei der Weltausstellung von Osaka 1970 rund 100-mal aufgeführt. Hunderttausende Expo-Besucher haben das Stück gehört. Das Projekt der Aufführung mit dem Landesjugendorchester entstand aus der Patenschaft des BR-Symphonieorchesters mit diesem Jugendorchester. Ich bewundere, wie die junge Generation diese komplizierte Musik schafft.

Sie haben wie viele Kollegen gegen die Fusion des SWR- Symphonieorchesters und des RSO Stuttgart protestiert. Bald dirigieren Sie das erste Konzert des neuen Orchesters. Ist das kein Widerspruch?

Ich halte es für absurd, weiter gegen diese Entscheidung zu protestieren, nachdem sie gefallen ist. Die Musiker müssen weiter spielen. Ich arbeite mit beiden Orchestern seit 40 Jahren. Da kann ich doch nicht den Musikern sagen: Nach dieser Fusion komme ich nicht mehr. Das wäre idiotisch.

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