Pendereckis "Lukaspassion" in der Felsenreitschule
So sieht Festspielluxus aus. Auf dem Podium ein groß besetztes Orchester, eigens eingeflogen aus Kanada, darunter 16 erste Geigen. In der gut eineinhalbstündigen, pausenlosen „Lukaspassion“ von Krzysztof Penderecki haben sie vielleicht fünf Minuten wirklich zu tun. Den Rest der Zeit müssen sie starr da sitzen und an Rückenschmerzen leiden. Womöglich eine vom sehr katholischen Komponisten den Musikern auferlegte Meditation über das Leiden Jesus Christus.
Die „Lukaspassion“ ist theoretisch der ideale Auftakt zu Sakralmusik und dem Dialog der Religionen gewidmeten „Ouverture spirituelle“, mit der die Salzburger Festspiele seit 2012 beginnen. Denn das 1966 im Dom von Münster uraufgeführte Oratorium gilt als ein zentrales Werk der geistlichen Musik des 20. Jahrhunderts.
Praktisch ist die Angelegenheit weniger klar. Das seit 2006 von Kent Nagano geleitete Orchestre symphonique de Montréal konnte seine (höchstwahrscheinlichen) Qualitäten bei seinem Salzburg-Debüt nicht herausstellen. Auch der Spielort passte nicht: In einem Kirchenraum wäre dieses Oratorium, das zu Beginn mit Orgelgebraus und einem Orchesteraufschrei den Klangraum vermisst, deutlich besser aufgehoben.
Die Bösen singen atonal
Die Felsenreitschule verfügt nur über ein (allerdings sehr gutes) elektronisches Instrument. Aber derlei bleibt bei einem Werk mit großem Orgelpart ein Notbehelf. Und große Kirchen, in denen überwiegend leise Musik mit ein paar Schock-Fortissimos besser wirken würde, gäbe es in Salzburg nicht wenige.
Vor 50 Jahren wurde die „Lukaspassion“ wegen ihrer Synthese aus Avantgarde und Tradition gepriesen. Noch immer beeindruckt die Partitur beim Durchblättern wegen der graphischen Wucht ihrer komplexen Notation. Die ausgefeilte Harmonik setzt im atonalen Umfeld immer wieder tonale Bezugspunkte. Es gibt viele Anspielungen auf die traditionellen Formen und die Tonfolge B-A-C-H, um den größten aller Passionskomponisten zu ehren. Dem wäre es allerdings kaum eingefallen, am Ende strahlendes Dur draufzusetzen, der so gezwungen wirkt wie der Optimismus am Ende von Schostakowitschs Fünfter.
Auch sonst lässt der konkrete Höreindruck kalt wie eine Betonkirche aus der Entstehungszeit. Die kompositorische Avantgarde steht für das Böse, archaisierendes Psalmodieren für den festen Glauben. Bei der Gefangennahme und der Verspottung Jesus Christus ahmt Penderecki mit komplexen Mitteln Volksgemurmel nach. Dazu wird wild getrommelt und kurz in Saxofone geblasen. Von der frommen Monochronie der Chöre geht aber leider gar keine Wirkung aus, und schon gar keine emotionale. Und an Messiaens nicht minder katholische Musik sollte man möglichst nicht denken.
Ovationen für Penderecki
Der Evangelist spricht lateinisch. Der Schauspieler Slawomir Holland fügte eine charmant-weiche polnische Färbung hinzu. Jesus singt – ohne in seinem Leid jemals zu erschüttern – Bariton (Lucas Meachem). Dazwischen gab es Psalmen, die Sarah Wegener, der Philharmonische Chor Krakau und der Warsaw Boys’ Choir tadellos meisterten. Trotzdem hängt diese Passion wie ein abstraktes Gemälde dekorativ an der Wand.
Kent Nagano dirigierte das Werk – nach einer vorangegangenen Aufführung in Krakau – mit großer imperialer Geste. Der 85-jährige Komponist genoss die stehenden Ovationen des Publikums. In die muss man angesichts der Fragen, die dieses Werk aufwirft, nicht vorbehaltlos einstimmen. Aber Festspiele sind auch dazu da, Werke wie die „Lukaspassion“ erneut zur Diskussion zu stellen. Und zwar, wie es sich gehört, dank polnischer Kulturförderung in der luxuriösestmöglichen Form, ehe die Partitur wieder für längere Zeit ins Regal wandert.
Die „Ouverture spirituelle“ der Salzburger Festspiele endet am 27. Juli mit einem Auftritt von Hésperion XX in der Kollegienkirche, www.salzburgfestival.at
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