Patricia Kopatchinskya und Teodor Currentzis lassen die Fetzen fliegen

Die Neuaufnahme des Violinkonzerts von Peter Tschaikowsky durch Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis
von  Robert Braunmüller
Eine künstlerische Liebesheirat: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und der Dirigent Teodor Currentzis als ländliches russisches Ehepaar im Booklet der neuen CD.
Eine künstlerische Liebesheirat: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und der Dirigent Teodor Currentzis als ländliches russisches Ehepaar im Booklet der neuen CD. © Nikolaevich/Sony

Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick vernahm im Finale die „brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes“. Tschaikowskys Violinkonzert erinnerte ihn an „lauter wüste und gemeine Gesichter“ und „rohe Flüche“. Und er kam auf die „schauerliche Idee“, ob es nicht Musikstücke geben könnte, „die man stinken hört“.

Ein legendärer Verriss, den fast jedes Konzert-Programmheft als abschreckendes Beispiel dafür zitiert, wie Musik verkannt werden kann. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja findet aber, dass in Hanslicks Worten mehr als ein Korn Wahrheit steckt. „So muss es gespielt werden“, sagte sie einmal in einem Interview.

Und nun tat sie das auch. In ihrer Neuaufnahme des Tschaikowsky-Konzerts fliegen die Fetzen. Sie nimmt das Tempo forsch, artikuliert bewusst, fast überdeutlich. Aber sie holt mehr als andere Interpreten heraus, dass der Kopfsatz als wilde Steigerung angelegt ist. Wenn sie am Ende noch einmal das Tempo anzieht, sucht man nach den Noten. Steht das wirklich so da? Tatsächlich: Nichts, was da passiert, ist eine willkürliche Lesart der Noten.

Das edle Parfüm von Würsten und Wodka

In der Canzonetta benutzt die Geigerin, im Unterschied zu sehr berühmten Kolleginnen, wirklich den vorgeschriebenen Dämpfer, um die fahle Verhaltenheit des langsamen Satzes herauszuholen. Und dann bricht jenes Finale los, das Hanslick so abstieß. Es riecht nach Würsten und Wodka. Wieder blättert man in der Partitur: Tatsächlich, ein „Allegro vivacissimo“. Alles spricht dafür, das Finale in einem rasenden Tempo zu nehmen.

Für die Kopatchinskaja steht Tschaikowsky seinen anti-akademischen Kollegen Mussorgsky und Rimsky-Korsakow näher, als es die landläufige Aufführungstradition glauben machen will. Das ist erfrischend. Und weil die Geigerin das geräuschhaft-derbe Spiel sehr bewusst einsetzt, wirkt ihr Zugriff überzeugender als mancher ruppige Konzertauftritt.

Außerdem hat die Moldawierin einen Partner gefunden, der ihre Leidenschaft für Extreme teilt: den ebenso verrückten Griechen Teodor Currentzis und das russische Originalklangorchester Musica Aeterna. Sie vermeiden den üblichen Breitwandsound, artikulieren ähnlich kurz angebunden wie die Solistin und spielen Tschaikowsky schlanker und durchsichtiger, als man es gewohnt ist. Natürlich besteht, wie bei den Mozart-Aufnahmen dieses Dirigenten die Gefahr einer gewissen Überwürzung. Aber es ist ein frappierend frischer und individueller Blick auf ein meistens recht langweilig gespieltes Werk.

Ergänzt wird die Platte mit einer weiteren Bauernhochzeit: „Les Noces“ von Igor Strawinsky. Es ist das Stück, dem Carl Orffs „Carmina Burana“ alles verdanken. Das Werk für Chor, Schlagzeug und vier Klaviere wird straff und präzise dargeboten. Eine aufregende Platte, bei der man spürt, wie oft einen Aufführungen russischer Musik um das Eigentliche betrügen: die ungebremste Vitalität.

Tschaikowsky: Violinkonzert, Strawinsky: „Les Noces“, CD bei Sony Classical

 

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