Orchester im Wandel: Das Musikgeschäft neu denken

Wie die Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in kleinen und großen Schritten versuchen, nachhaltiger zu werden.
von  Robert Braunmüller
Musiker des BR-Symphonieorchesters beim Umstieg auf dem Frankfurter Hauptbahnhof.
Musiker des BR-Symphonieorchesters beim Umstieg auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. © Astrid Ackermann/BR

München - Theater und Musik existieren nur im Augenblick der Aufführung. Und um dieses Feuerwerk der Flüchtigkeit zu erzeugen, baut man aufwendige Kulissen, die irgendwann auf dem Müll landen. Musiker reisen manchmal um die halbe Welt, um irgendwo einen zweistündigen Auftritt zu absolvieren. Nachhaltig ist daran - im besten Fall - nur die (womöglich lebenslange) Erinnerung der Zuschauer. Manchmal ist der Auftritt aber auch schon am nächsten Morgen wieder vergessen.

Immer mehr Musikerinnen und Musiker sind sich der ökologischen Problematik ihres Tuns bewusst - auch bei den Münchner Philharmonikern und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Beiden Orchestern sind internationale Auftritte wie Asien-Tourneen wichtig. Aber man weiß auch, dass derlei Gastspiele bisweilen kritisch gesehen werden und einer Neubewertung bedürfen.

Beim BR-Symphonieorchester waren zwei Konzerte in der Carnegie Hall der Auslöser für einen Bewusstseinswandel. Auf einer Orchesterversammlung erklärte ein Musiker, dass er ökologische Bauchschmerzen empfinde, wenn sich an solche Termine keine längere Tournee in den USA anschließe. Daraufhin bildete sich vor vier Jahren eine Klima-Gruppe aus einer Handvoll Musikern, die sich mit diesen Fragen beschäftigte.

"Wir haben erkannt, dass Kleinvieh viel Mist produziert"

Zur gleichen Zeit begann diese Debatte auch bei den Münchner Philharmonikern. Auch hier bildete sich eine Arbeitsgruppe. Beide Orchester gaben Gutachten in Auftrag, das Orchester der Stadt ließ sich dabei auch ökologisch zertifizieren. "Wir haben erkannt, dass Kleinvieh viel Mist produziert", sagt Christian Beuke, der Managementdirektor des Orchesters. Man habe Leuchten mit Bewegungsmeldern ausgerüstet, sei auf das doppelseitige Bedrucken von Umweltpapier umgestiegen, habe die Bühnentemperatur leicht reduziert und über die Vermeidung von Abfällen oder fleischarmes Essen in der Kantine gesprochen.

Christian Beuke ist Managementdirektor bei den Münchner Philharmonikern.
Christian Beuke ist Managementdirektor bei den Münchner Philharmonikern. © Neumann-Cosel

Bei beiden Orchestern stellte sich bald heraus, dass die Reisen den größten Fußabdruck beim Klima verursachen. Als Hauptfaktor erwies sich dabei die Fracht - der Transport der Instrumente. Die Schlussfolgerung war in beiden Fällen identisch: Nachhaltigkeit ist nun Teil der Tourneeplanung. Dabei war möglicherweise Corona eine hilfreiche Zäsur.

Den größten Fußabdruck beim CO2 hinterlässt die Fracht - wie solche Instrumentenkisten.
Den größten Fußabdruck beim CO2 hinterlässt die Fracht - wie solche Instrumentenkisten. © Astrid Ackermann/BR

Die Philharmoniker und das BR-Symphonieorchester streben bei Interkontinentalflügen längere Aufenthalte an, die auch für Education-Projekte und Meisterklassen an den Konzertorten genutzt werden sollen. Innerhalb von Europa wird nach Möglichkeit die Bahn genutzt - was nicht immer unproblematisch ist, wie die Münchner Philharmoniker zuletzt bei einer Reise von Dortmund nach Freiburg erfahren mussten, wo das Konzert wegen einer Verspätung des Zuges fast geplatzt wäre. Und wenn plötzlich ein Waggon wegfällt, in dem 100 Plätze reserviert waren, kann es ziemlich ungemütlich werden.

Nikolaus Pont, der Manager des BR-Symphonieorchesters, ist sich durchaus bewusst, dass die Gastspiele auf anderen Kontinenten unter verstärkten Rechtfertigungsdruck geraten. Er kann sich auch Absprachen vorstellen: "Warum müssen vier deutsche Orchester in einer Saison in Japan gastieren?" fragt er sich.

Nikolaus Pont ist Manager des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.
Nikolaus Pont ist Manager des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. © Kovalin

"Wenn es politisch hakt, kann Musik noch immer ein Kulturbotschafter sein"

Bei beiden Orchestern ist allerdings klar: Solange internationale Gastspiele über den Marktwert entscheiden, wird man daran festhalten. Der Stadtrat habe klargestellt, dass er die Philharmoniker weiter als kulturelle Botschafter Münchens verstehe.

Das sieht auch Uta Zenke-Vogelmann ähnlich, die für die Klima-AG des BR-Symphonieorchesters spricht: Für Musiker sei es inspirierend, in einem anderen kulturellen Umfeld aufzutreten. "Wenn es politisch hakt, kann Musik noch immer ein Kulturbotschafter sein", sagt sie. Die Cellistin verstehe auch ihre internationale Kollegen im Orchester besser, seit sie in deren Heimatländern wie Korea oder den USA gespielt habe.

Die Cellistin Uta Zenke-Vogelmann engagiert sich in der Klima-AG des BR-Symphonieorchesters.
Die Cellistin Uta Zenke-Vogelmann engagiert sich in der Klima-AG des BR-Symphonieorchesters. © Astrid Ackermann/BR

 

Beide Orchester versuchen auch, das Thema Nachhaltigkeit ins künstlerische Programm einzubeziehen. Die Philharmoniker veranstalteten im Juni ein Wochenende zum Thema "Kosmos Erde", beim BR-Symphonieorchester gab es ein Projekt mit dem Titel "Pastorale revisited" für Jugendliche, das im Nationalpark Berchtesgaden erarbeitet wurde und dessen Ergebnisse im Werksviertel vorgestellt wurden.

Uta Zenke-Vogelmann kann sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und Museen vorstellen. Außerdem gebe es auch jenseits von Haydns "Schöpfung", Beethovens "Pastorale" und Vivaldis "Vier Jahreszeiten" viel neue Musik, die sich mit dem Klima-Thema auseinandersetze.

Gruppenflug um tausende Euro billiger als eine  Gruppenreise mit der Bahn

Die Philharmoniker werden in ihren ökologischen Bemühungen seit Jahren vom Stadtrat unterstützt - auch bei der Kompensation von Flügen über atmosfair. Das BR-Symphonieorchester stößt dabei an gewisse Grenzen: einerseits, weil es im Gasteig-Interim und im technisch veralteten Herkulessaal nur als Mieter auftritt, andererseits wegen der Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag. Ein Gruppenflug von München nach Köln ist nämlich um einen fünfstelligen Betrag billiger als eine Gruppenreise mit der Bahn. Hier gebe es zwar Gespräche mit der Intendanz, die jedoch nicht abgeschlossen seien.

In Japan nutzen die Münchner Philharmoniker den Hochgeschwindigkeitszug.
In Japan nutzen die Münchner Philharmoniker den Hochgeschwindigkeitszug. © Beuke

Die Philharmoniker suchen derzeit nach einem Chef oder einer neuen Chefin. Beim BR tritt in knapp einem Jahr Simon Rattle die Nachfolge des verstorbenen Mariss Jansons an. Nikolaus Pont hat mit ihm schon oft über Nachhaltigkeit gesprochen. "Rattle wird sicher nicht für zwei Konzerte nach New York fliegen wollen", sagt er. "Kein Dirigent seines Ranges hat öfter und deutlicher gesagt, dass man das gesamte Musik-Business angesichts der Klimakrise neu denken müsse".

Deutschlandweit organisieren sich Musiker in der Gruppe "Orchester des Wandels". Der Hornist Ulrich Haider von den Philharmonikern ist einer der beiden Vorsitzenden, das BR-Symphonieorchester steht kurz vor dem Beitritt und wird einen Vertreter zu einer Orchesterversammlung einladen. Vertreter beider Orchester betonen, weiter reisen und den Eindruck von Greenwashing vermeiden zu wollen.

Es gehe darum, Konzerte als Plattform zu nutzen, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen und auch hier einen Bewusstse

inswandel zu verstärken - etwa dafür, beim Konzertbesuch öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Oder ganz simpel, dass man Programmhefte an andere Besucher weitergibt und nicht gleich im Papierkorb entsorgt. Oder noch besser gleich digital nutzt. Dafür wäre es hilfreich, wenn die Orchester nicht einfach nur ein PDF des gedruckten Hefts zur Verfügung stellen würden: einer von vielen kleinen Schritten, um den Kulturbetrieb nachhaltiger zu gestalten.

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