Oper in der Kirche: Was Wagner nie aus dem Ohr bekam

In den ersten 100 Jahren nach der Uraufführung gab es über tausend Vorstellungen von Giacomo Meyerbeers "Die Hugenotten" an der Pariser Opéra. Dass diese Oper anschließend fast spurlos von den Spielplänen verschwunden ist, hat in Deutschland mit Wagners antisemitischer Polemik und im Rest der Welt mit einer generellen Geringschätzung französischer Musik und den extremen Anforderungen an die Sänger zu tun.
Weil im letztendlich erzkonservativen Opernbetrieb nichts schwieriger zu restaurieren ist als eine unterbrochene Tradition, werden Langweiler wie Donizettis "La Favorite" oder Bellinis "I Puritani" immer wieder hervorgekramt, die erheblich interessanteren "Hugenotten" aber nicht.
Eine fast vergessene Oper
In der Allerheiligen-Hofkirche lässt sich nun ein Eindruck von dieser ziemlich vergessenen Oper gewinnen. Meyerbeer schrieb für ein Haus, das die damals weltweit maximale Pracht an Dekorationen und den größten Luxus an Sängern aufbieten konnte. Manche Besucher scheinen nur wegen dem Ballett gekommen zu sein, das Wiedermann auch nicht aufbieten kann. Dass Andreas Wiedermann (Inszenierung) und Ernst Bartmann (Musikalische Leitung) nur eine Skizze bieten, liegt auf der Hand.
Allerdings funktionierten die "Hugenotten" im 19. Jahrhundert auch in kleinen Theatern, und von dieser Robustheit profitiert die Aufführung der freien Truppe Opera Incognita. Wiedermann und Bartmann haben die Hälfte der rund vierstündigen Oper gekürzt.
Der Regisseur hat einen Kniff gefunden, das Werk werkstatthaft vorzustellen, ohne sie aufgesetzt zu interpretieren: Die Darsteller tragen historische Kostüme, die Regie übersetzt die Handlung durch Lichtwechsel in rasch wechselnde lebende Bilder, was zu dieser Nummernoper sehr gut passt (Ausstattung: Aylin Kaip).
Torsten Petsch als raubeiniger Marcel
Die Sängerinnen und Sänger kommen mit Meyerbeers anspruchsvoller Musik überraschend gut zurecht. Am besten ist der elegant singende Manuel Kundinger als Nevers - eine wichtige Nebenrolle. Der Opera-Incognita-Veteran Torsten Petsch gelingt ein etwas raubeiniger, aber recht stimmiger Marcel. Carolin Ritter darf als Page Urbain leider nicht viel singen. Ines Bergk bewältigt die Koloraturen der Margarethe von Valois mühelos.
Dafne Boms wandelt als Valentine sicher auf dem Grat zwischen Dramatik und Schöngesang, Manuel Ried ist in der für heutige Tenöre unangenehm hohen Rolle des Raoul zumindest akzeptabel. Mehr ist da unter den obwaltenden Umständen nicht zu wollen.
Für heutige Seh- und Hörgewohnheiten vertändelt Meyerbeer drei Akte lang viel Zeit mit musikalischer Kulissenmalerei, ehe es dann im vierten und fünften Akt beim Massaker der Katholiken an den französischen Protestanten in der Bartholomäusnacht zur Sache geht.
Da können die "Hugenotten" dann mühelos mit jedem Verdi mithalten.
Dubiose Rolle der Königin
Leider bleibt in Wiedermanns Fassung unverständlich, warum Raoul plötzlich seine Angebetete verschmäht, obwohl er sie mit allerhöchster Bewilligung heiraten dürfte.
Die politische Rolle der Königin bleibt ein wenig dubios. An der Schwerterweihe und dem "Gran Duo" wurde leider mehr gehobelt, als es der Musik gut tut. Da gibt es Kollateralschäden, die an die Substanz führen. Und auch wenn es unmöglich ist, dass Raoul in der Allerheiligen-Hofkirche am Ende des Duetts aus dem Fenster springt, irgendeine Entsprechung für diesen Effekt hätte man schon finden müssen.
Ernst Bartmanns Bearbeitung versucht, - etwa in Marcels Hugenottenlied und in der Einsegnung des fünften Akts - einige Besonderheiten der Instrumentierung Meyerbeers zu erhalten. Da das Ensemble aus Kostengründen kaum am Spielort proben konnte, war der Dirigent bei manchen Übergängen und Tempi allzu sehr auf Sicherheit bedacht, was sich bei späteren Aufführungen aber einrenken würde.
Action, Großbürgervergnügen und Musiktheater-Ernst
Meyerbeers "Hugenotten" sind eine merkwürdige Mischung aus Action, dekorativ-dekadentem Großbürgervergnügen und bitterem Musiktheater-Ernst. Manches wird einem beim Hören aus Opern Verdis und Wagners irgendwie bekannt vorkommen. Aber nicht Meyerbeer war der Epigone, sondern die Kollegen haben seine Einfälle geplündert und weiterentwickelt.
Gerade Wagner scheint das große Bassklarinetten-Solo aus dem letzten "Hugenotten"-Akt bis zum "Tristan" - wenn nicht sogar bis zum "Parsifal" - nicht aus dem Ohr bekommen zu haben. Schon deshalb sollte man diese einfallsreiche, folgenreiche und teilweise noch immer unmittelbar faszinierende Oper kennen. Und so schnell wird sich diese Gelegenheit in München wohl nicht wiederholen.
Wieder am 8., 9., 10. und 11. September, 20 Uhr in der Allerheiligen-Hofkirche, nur noch wenige Restkartenzu 57 und 68 Euro.
Am 17., 22. und 23. Oktober spielt die Gruppe Wagners "Liebesverbot" im Sugar Mountain. Tickets ab 59 Euro.