Oper für alle im Nationaltheater: Aidatrompeten statt Martinshörner
"Jetzt muss ich doch wieder mit Maske hier drin sitzen - wegen eines Regens, der nicht kommt!". Der Unmut der etwas betagten Dame auf dem Platz direkt hinter dem Rezensenten ist verständlich, ist doch der Zweck der "Oper für alle" gerade der ungezwungene Musikgenuss unter freiem Himmel. An diesem Abend aber ist das Publikum witterungsbedingt im Nationaltheater platziert, um der konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis populärster Oper "Aida" beizuwohnen.
Man soll sich ja aerosolbedingt im geschlossenen Raum nicht in Diskussionen verwickeln. So möchte es der Rezensent schriftlich nachholen, auf zwei Nebeneffekte zu verweisen, die die Verlegung der Aufführung vom Marstallplatz in die Staatsoper mit sich brachten.´Erster Vorteil: Man ist den berühmten Aida-Trompeten, lang, dünn, einventilig, so nah wie sonst nie.
Zubin Mehta zeichnet den Takt minimalistisch fein
So makellos die kieksanfälligen Sonderanfertigungen geblasen werden, so repräsentativ ist diese Noblesse für das gesamte Bayerische Staatsorchester. Die Musiker sind Wachs in den Händen ihres ehemaligen GMD Zubin Mehta, der mit seinen 85 Jahren den Takt nicht mehr so großzügig malt wie einst, sondern minimalistisch fein zeichnet. Phänomenal, wie tiefenscharf er die großen Tableaus mit dem von Stellario Fagone zu geballter Schlagkraft gebrachten Staatsopernchor durcharbeitet.

Die Tutti, und das ist der zweite Vorzug des Innenraums, sind so überlegen ausbalanciert, dass in ihnen seltenerweise sogar der höhenstarke Tenor von Fabio Sartori als Radamès deutlich zu vernehmen ist. Er ist der einzige Italiener in diesem exzellenten Ensemble, in dem sich die tiefen Stimmen, das flächige Belcanto des Mongolen Amartuvshin Enkhbat als Amonasro, der jugendlich männliche König des Briten Callum Thorpe und der ehrfurchtsgebietend schwarzglänzende Bass des Ukrainers Dmitry Belosselskiy als Hohepriester Ramfis plastisch voneinander abheben.
Krassimira Stoyanova ist eine ideale Aida
Das eigentliche Drama aber machen die Bulgarin Krassimira Stoyanova und die rumänisch-ungarische Mezzosopranistin Judit Kutasi unter sich aus. Die Stoyanova ist eine ideale Aida: Sie kann ihren strahlenden Sopran mit höchster Spannung zu einer überwältigenden Tiefe fokussieren, aber auch mit perfekter Technik in der Höhe zu einem unwirklichen Schweben zurücknehmen.

Mit ihrem weichen Organ, dessen fester Kern mit leuchtendem Samt überzogen zu sein scheint, gibt die Kutasi eine attraktive Amneris, in die sich Radamès genau so gut hätte verlieben können. Beide, die Sklavin und die Prinzessin, versuchen jedoch nicht, sich wechselseitig zu übertrumpfen, sondern schlagen Funken dadurch, dass sie aufeinander zugehen.
Ist man schon ein Stubenhocker, wenn man insgeheim fast froh ist, dass eine derart fesselnde Dialogkunst nicht durch Martinshörner und andere stadttypische Geräuschquellen garniert wird?
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