Interview

Nouvelle Vague: Kunst der Lässigkeit

Die Pariser Band Nouvelle Vague verwandelt erfolgreich Punk und New Wave in Bossa Nova.
Dominik Petzold |
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Die französische Band Nouvelle Vague.
Die französische Band Nouvelle Vague. © imago images / Christoph Worsch

Die Pariser Musiker Olivier Libaux und Marc Collin verfolgen mit ihrem Projekt Nouvelle Vague seit 2004 ein klares Konzept: Sie spielen New Wave- und Punk-Klassiker im Bossa Nova-Stil, mit wechselnden Sängerinnen. Am Dienstag tritt die Band beim Dachauer Musiksommer auf.

Nouvelle Vague kommt zum Dachauer Musiksommer

AZ: Monsieur Libaux, ist das Konzert in Dachau ihr erstes in diesem Jahr?
OLIVIER LIBAUX: Nein, wir konnten schon drei Konzerte in Bulgarien und Spanien spielen. Das war eine Befreiung. Und das Konzert in Dachau wird ein Fest. Wir genießen Live-Shows immer, aber jetzt, da wir so lang nicht gespielt haben, sind wir total enthusiastisch.

Sie haben sicher wie alle Musiker eine schwere Zeit hinter sich.
Nouvelle Vague ist seit 15 Jahren viel auf Tour, unser Leben ist es, im Ausland Konzerte zu geben. Mein Appartement in Paris ist sehr klein, ich lebe ja kaum zuhause. Die Pandemie war sehr seltsam für mich, ich bin es nicht gewohnt so lange zuhause, in Paris und in Frankreich zu sein. Die Zeit ist sehr lang geworden.

Band-Konzept: Es gibt wechselnde Sängerinnen

Nun geht's für Nouvelle Vague endlich weiter. Wie sind Sie damals auf das Konzept der Band gekommen?
Mein musikalischer Partner Marc Collin und ich sind beide große Fans von Punk und New Wave, wir sind mit dieser Musik aufgewachsen. Marc fragt mich eines Tages, ob wir nicht "Love Will Tear Us Apart" von Joy Division als Bossa Nova covern wollen. Ich hielt das für eine eigenartige Idee, aber auch für eine Herausforderung. Aber ich fragte ihn: Wieso nur "Love Will Tear Us Apart"? Wir könnten auch viel von The Clash oder The Cure covern. Wir nahmen dann eine ganze Platte mit New Wave-Songs im Bossa Nova-Stil auf - gesungen von jungen Frauen.

Stimmt es, dass sie Frauen suchten, die die Originalsongs nicht kannten?
Ja. Mittlerweile kennen unsere Sängerinnen Punk und New Wave sehr gut, aber am Anfang war das anders. Marc und ich waren damals vierzig, und wir dachten, es wäre gut, mit einer neuen Generation von Sängerinnen zu arbeiten. Die erste Sängerin, die an unserem Projekt arbeitete, war eine 25-jährige Brasilianerin. Sie sang "Love Will Tear Us Apart" und sagte: ein toller Song, den kannte ich noch gar nicht.

Verblüffend.
Da wurde uns überhaupt erst bewusst, dass es Menschen geben konnte, die Joy Divison oder Depeche Mode nicht kannten. Beim ersten Album waren alle Sängerinnen Mitte zwanzig. Eine sagte uns, The Clash sei die Musik ihrer Eltern. Aber das half sehr: Diese jungen Sängerinnen hatten keinerlei Angst vor diesem großen Repertoire. "A Forest" von The Cure war für die kein Kultsong wie für uns. Die waren total spontan, brachten viel Frische in die Songs.

Die meisten Bandnamen sind total beliebig. Aber Sie fanden für Ihr Projekt einen wirklich treffenden Namen.
Nouvelle Vague ist nicht nur der Name der berühmten Filmbewegung der Sechziger, sondern zugleich die französische Übersetzung für New Wave. Dann sagte mir eine portugiesische Freundin: Man könnte auch Bossa Nova mit Nouvelle Vague übersetzen. Das ist also der perfekte Name für uns, denn er ist zugleich die Erklärung unserer Musik.

Nicht alles Songs funktionieren im Nouvelle Vague-Stil

Sie können aus einem quasi grenzenlosen Repertoire wählen. Wie lang brauchen Sie eigentlich, um Songs auszusuchen?
Manchmal dauert es nur drei Minuten, das ist eine Frage der Intuition. Manche Songs funktionieren nicht im Nouvelle Vague-Stil, aber grundsätzlich klappt es.

Bei welchen Songs hat es nicht geklappt?
Eine meiner Lieblingsbands der New Wave-Ära ist The Stranglers, ich bin ein Riesenfan. Auf unserem zweiten Album 2006 wollte ich unbedingt "No More Heroes" aufnehmen. Aber es hat nicht geklappt, es klang wie ein stinknormaler Bossa Nova. Letztes Jahr während der Pandemie wachte ich eines Morgens auf und hatte plötzlich den Einfall, wie wir's spielen müssen. Nach 15 Jahren. Und es hat geklappt.

Spielen Sie den Song in Dachau?
Eigentlich nicht, die Band hat den Song nicht geprobt. Aber vielleicht kann ich noch mit Mélanie Pain, einer der beiden Sängerinnen, reden und wir spielen den Song nur mit akustischer Gitarre. Wenn die Sonne scheint und alle glücklich sind, weiß man nie, was passiert.

Sie spielen viele Songs, die im Original sehr aggressiv sind, auf eine sehr sanfte Weise. Spielt Ironie eine Rolle in ihrer Musik?
Als wir das erste Album aufnahmen - das meiner Meinung nach perfekt zum Ausdruck bringt, wofür Nouvelle Vague steht -, haben wir es nicht ironisch gemeint. Wir waren sehr motiviert, schöne Bossa Nova-Versionen von legendären Songs zu spielen. Aber ich merkte schnell, dass wir das Originalmaterial ins genaue Gegenteil verwandeln. Punk und New Wave kommen aus einem Land, in dem es kalt ist und regnet, Bossa Nova kommt aus Brasilien - der erste Gegensatz. Diese Songs wurden von Männern gesungen und bei uns von Frauen - der zweite Gegensatz. Und es ist lustig, wenn Frauen "Too Drunk To Fuck" singen, dafür ist der Song ja eigentlich nicht gedacht. Wir haben es nicht ironisch gemeint, aber ich verstehe, wenn jemand unsere Musik lustig findet.

"Wir sind keine Puristen"

Haben Komponisten oder Bands der Originalversionen auf ihre Interpretationen reagiert?
Viele, und ich glaube, dass inzwischen - nach 17 Jahren unseres Bestehens - alle von uns gehört haben. Als erstes hat Martin Gore von Depeche Mode reagiert. Er war begeistert und sagte in einem Interview, dass er seinen Freunden immer Nouvelle Vague vorspielt. Und als wir mal in Oslo auftraten, spielten die Pixies am selben Tag ganz in der Nähe, leider zur gleichen Zeit wie wir. Ihr Manager kam nachmittags zu uns und sagte, dass sie Fans von uns seien.

Werden Sie dann auch mal einen Song von denen covern?
Das sollten wir eigentlich nicht, denn die Pixies stehen für die späten Achtziger und frühen Neunziger. Unsere Kernzeit ist von 1978 bis 1983, die Zeit der musikalischen Explosion mit den Sex Pistols, The Clash, The Cure, The Damned, mit den Ramones, Undertones, Stranglers und Siouxsie & The Banshees. Andererseits: Auf unserer letzten Single haben wir "Girls And Boys" von Blur gecovert, ein Stück aus den Neunzigern.

Sie sind also keine Puristen.
Nein, aber wir mussten die Sache am Anfang schon ernst nehmen: Damals, am Anfang des 21. Jahrhunderts, waren Punk und New Wave praktisch vergessen. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen, denn heute ist die Musik der Achtziger allgegenwärtig. Punk und New Wave waren eine musikalische Explosion, eine der kreativsten Zeiten überhaupt, und wir wollten nicht nur die Leute unserer Generation damit erreichen, sondern auch jüngere Leute, die diese Musik gar nicht kannten.

Jello Biafra hat "Too Drunk To Fuck" in "Planet Terror" nicht gefallen

Hat sich mal ein Komponist über Ihre Version beschwert?
Jello Biafra von den Dead Kennedys war nicht glücklich, dass unsere Version von "Too Drunk To Fuck" in Robert Rodriguez' Film "Planet Terror" eingesetzt wurde: In der Szene geht es, etwas trashig, um einen Vergewaltigungsversuch an einer einbeinigen Frau. "Too Drunk To Fuck" in diesem Zusammenhang zu hören, hat Biafra nicht gefallen. Das war das einzige Mal, dass wir etwas Negatives gehört haben.


Dachau, Ludwig-Thoma-Wiese, Dienstag, 6. Juli, 20.30 Uhr, Tickets für 32,80 Euro bei München Ticket unter Telefon 08954818181, Corona-konformes Sitzkonzert

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