Nomaden, Griots und Rock’n’Roll - so klingt Mali
Mali: ein musikreiches Land zwischen dem Tuareg-Sound und der Hauptstadt Bamako – bedroht durch Unruhen und Islamisierung
Ich sage, verlasst unsere Straße / All ihr Mörder, verlasst unsere Straße / Diebe, verlasst unsere Straße / Plünderer, verlasst unsere Straße / Vergewaltiger, verlasst unsere Straße / Betrüger, verlasst unsere Straße“. Die vergangenen Monate haben Mali Entsetzen, Verzweiflung und Trauer gebracht. Gitarrist Samba Touré, der in der Band des 2006 gestorbenen Ali Farka Touré spielte, singt auf seinem neuen Album „Albala“ (Glitterbeat) nicht nur ein Lied davon.
Ali Farka Touré hat neben dem Duo Amadou & Mariam das musikalische Bild Malis im Ausland geprägt. „Albala“ – „Gefahr“: Der Titel von Sambas Platte ist in Songhai. Neben dem Französischen und Arabischen formen Mali noch eine gute Handvoll Sprachen. Und das führt zum Problem dieses afrikanischen Binnenstaates, der noch bis 1960 zur Kolonie Französisch-Sudan gehörte.
Um die Jahrtausendwende schafften es Tinariwen zu internationaler Bekanntheit. Die Mitglieder der Band kommen aus dem Nomadenvolk der Tuareg, deren Stammesgebiet naturgegeben mit politischen Ländergrenzen wenig zu tun hat. Im bewaffneten Kampf strebt man nach der Unabhängigkeit des Landesnordens und will den eigenen Staat Azawad. Als Tinariwen ihre Kalaschnikows gegen Gitarren tauschten, hatte der Westen ein Image, mit dem sich die Band bewerben ließ.
Der Tuareg-Traum der Unabhängigkeit
Mitglieder von Tinariwen findet man aktuell auch bei Terakaft. „Kel Tamasheq“ (World Village) heißt ihr Album. Die amerikanische Rockkraft der 70er geht hier auf in ornamentalen Mantra-Gitarren-Licks. Der Titelsong über das Volk der Tuareg hält am Traum der Unabhängigkeit fest – und wenn sie erst in der nächsten Welt wahr wird. Aufgenommen wurde die Platte kurz nach dem Beginn der Eskalation im November 2011, als der Tuareg-Aufstand von Niger aus auf Mali übergriff.
Islamisten nutzten die Kämpfe auf mittlerweile bekannte Weise. Sie sind Aufhocker in diesem separatistischen Streben. Radikalisierer in einen muslimisch geprägten Land. Waffenlieferanten mit Gerät, das davor im Aufstand gegen Gaddafi eingesetzt wurde. Das Ziel ist der Gottesstaat mit Scharia. Und bald sah sich die Tuareg-Organisation MNLA anders motivierten Kämpfern gegenüber. Den islamistischen Gruppen Ansar Dine und MUJAO, und der algerischen Terrorgruppe al-Qaida im Maghreb.
Die Musik der Tuareg ist unauflöslich mit dem politischen Drama verbunden. Schon allein deshalb, weil in islamistisch kontrollierten Gebieten neben einer gezielten Kulturvernichtung auch Musik verboten ist. Tamikrest gehören zur jungen Generation des Tuareg-Rocks. Größtenteils leben sie mittlerweile im algerischen Exil.
„Chatma“ (Glitterbeat) ist ihr am 13. September erscheinendes Album. „Schwestern“ heißt der Titel übersetzt – eine Hommage an die Frauen des Volkes, ihr Leiden und ihren Mut. „Imanin bas zihoun“ ist Wüsten-Funkrock, so eigenständig, wie souverän, wie ohne jede Vorkenntnis mitreißend. Und wenn in „Djanegh etoumast“ der sphärenschwere Sound plötzlich wegbricht und nichts mehr stehen bleibt, außer dem Schlagzeug – spürt man die Macht der Weite.
Ein Wüstenzelt aus Tierhäuten wird zum Aufnahmestudio
Ein Blick über die Grenze zu den Tuaregs in Niger und dem Nomadenvolk der Wodaabe: das Album „The Sahara Sessions“ von Etran Finatawa, einer Gruppe, in der zwei ethnische Gruppen die Einheit leben. Auf dem Rückcover sieht man ein Zelt aus Tierhäuten und langen Holzstäben – das Studio. Diese Aufnahmen sind so etwas wie die Unplugged-Version des Wüstenrocks. Akustische Gitarren und der klackende Beat des Flaschenkürbis’. Eine gelungene Verbindung fester Melodiekerne mit der für musikalische Besucher offenen Impro-Struktur.
Im Gegensatz zur westlichen Wahrnehmung musizierender Tuaregs machen sie nur sechs Prozent der Bevölkerung aus. Größe Teile der Musik Südmalis werden bis heute geprägt durch die Tradition der Griots. Vermittler, Bewahrer und Weiterträger mündlicher Erzähl- und Musiktradition. In Familienclans organisiert, bilden sie eine eigene gesellschaftliche Schicht. Auch diese Tradition ist natürlich über Mali hinaus im westafrikanischen Raum verbreitet. „Brothers in Bamako“ (Broken Silence) heißt beispielsweise die African-Blues-CD, die Habib Koité mit dem New Yorker Gitarristen Eric Bibb aufgenommen hat.
Im März 2012 putschten Soldaten im Landessüden gegen Präsident Amadou Toumani Touré und gründeten ein „Nationalkomitee für die Wiederherstellung der Demokratie und des Staates“. Der Tag, an dem sie Touré aus dem Amt jagten, war der erste Aufnahmetag für das Album von Bassekou Kouyate und Ngoni Ba: „Jama ko“ (Out Here). Ihr Studio war nur eine halbe Meile vom Palast des Präsidenten entfernt, der Förderer der Musik Kouyates war.
„Ne me fatigue pas“ ist die umgehend aufgenommene Reaktion. Zu hören ist die Ngoni in diversen Größen, eine Langhalslaute mit länglicher Kalebassenform, bespannt mit Tierhaut. Und weil unsere Vorstellungen von Tradition hier nicht taugen, jagen Kouyate und seine Musiker sie über Verzerrer und Wah-Wah-Pedale in ihre Verstärker. Produziert hat unter anderem Howard Bilerman, ehemals auch Mitglied von Arcade Fire.
Wer westliche Produzenten in Mali sucht, der stößt auf Chris Eckman, der auch an den Platten von Samba Touré und Tamikrest beteiligt war. Mit Letzteren hat er die erste Dirtmusic-CD aufgenommen. Jetzt hat der Walkabouts-Mann mit dem Bad-Seeds-Gründungsmitglied Hugo Race das zweite Dirtmusic-Album veröffentlicht: „Troubles“ (Glitterbeat). Zusammen mit heimischen Musikern ist eine Hypnose-Platte entstanden, die Clubsound, Rock, Tradition und Vielsprachigkeit kreuzt. So könnte sich die Musik eines neuen Mali anfühlen.
Am Sonntag gehen Ibrahim Boubacar Keita und Soumaila Cissé in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Die Islamisten scheinen momentan besiegt. Anschläge sind ausgeblieben.