Nikolaus Harnoncourt dirigiert die "Missa solemnis" von Beethoven
Auf Beehovens Baustelle: Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Wien im Großen Festspielhaus
Noch ist es ziemlich ruhig in Salzburg. Soweit das überhaupt möglich ist. Die Festspiele haben zwar schon begonnen. Aber eher leise, mit der vom vielgescholtenen Ex-Intendanten Alexander Pereira erfundenen „Ouverture spirituelle“.
Das Publikum ist einheimischer, jünger und weniger aufgebrezelt. In der Kollegienkirche gibt es Alte und indische Musik. Und Nikolaus Harnoncourt schaut mit seinem Concentus musicus vorbei und dirigiert Ludwig van Beethovens monumentale „Missa solemnis“. Natürlich in einer eher kleinen Orchesterbesetzung und dem 50-köpfigen Arnold Schoenberg Chor aus Wien.
Der 85-jährige Godfather der historischen Aufführungspraxis wirkt mittlerweile gebrechlich. Er kommt mit Krücken. Dann setzt er die Lesebrille auf, öffnet die Partitur und gibt den Einsatz.
Das Kyrie begann etwas wacklig, aber das tut es wegen der nachschlagenden Trompeten immer. Die Musik blieb verhalten. Und man fragte sich: Ist Harnoncourt etwa altersmilde geworden?
Der Dirigent scheut das Feierliche wie der Teufel das Weihwasser
Nicht wirklich. Er schaut nur, wie immer, genauer als andere Dirigenten in die Noten. Er lässt den Piano-Nuancen der Partitur nur mehr Liebe angedeihen, als es sonst üblich ist. Dafür lässt Harnoncourt das erste dreifache Forte dann auch richtig, fast zum Fürchten krachen.
Die Musik wirkt noch kantiger, zerrissener und blockhafter als sonst. Der Orchesterklang des Concentus Musicus auf Nachbauten alter Instrumente ist gewohnt rauschend. Und schon beim ersten schneidenden Trompeten-Einsatz ahnt man, dass die „Bitte um inneren und äußeren Frieden“ im Agnus Dei das Herzstück der Aufführung werden wird.
Im Gloria und Credo betont Harnoncourt das Archaische, Rückwärtsgewandte der Musik. Der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor sang schlank, hell und ohne jedes Höhenproblem. Harnoncourt legte es geradezu darauf an, die Sätze ohne große Schlusswirkung irritierend barsch enden zu lassen.
Beethoven für Selbstdenker
Das Solisten-Quartett stand als kleiner Chor unter den übrigen Sängern. Es wirkte nicht ganz homogen. Dafür aber gelangen die wenigen Soli herausragend: Ruben Drole sang das „Agnus dei“ mit schlankem, schwarzen Bass. Der satte Mezzo Elisabeth Kulmans machte kleine Übergänge im Benedictus zum Ereignis. Johannes Chum (Tenor) und Laura Aikin (Sopran) ergänzten eine solide Oratoriumsbesetzung, die bei diesem Werk einem Staraufgebot eindeutig vorzuziehen ist.
Harnoncourt scheute das Mystische und Erhabene wie der Teufel das Weihwasser. Fast dazu passend trank er vor jedem Satz aus einer Wasserflasche – als sei das Festspielhaus eine Baustelle. Und das hat was: Tatsächlich hat Beethovens „Missa solemnis“ als Selbstreflexion der Gattung etwas von einer Werkstatt.
Einen verinnerlichten Augenblick gab es dennoch: das von den Flöten, Fagotten und den reduziert besetzten Streichern ganz im herben, reinen Klang gespielte Präludium vor dem Benedictus. Dann folgte das von Erich Hörbarth mit viel Vibrato als Einzelstimme eines Individuums gespielte Violinsolo. Im „Dona nobis pacem“ legte der Paukist Tücher auf sein Instrument, um einen fahlen, kriegerischen Trommelklang zu erzeugen. Dann wogte das Stück noch unruhig hin und her, um plötzlich abzubrechen.
Herb und sperrig
Harnoncourt lässt die Rätsel der „Missa solemnis“ lapidar stehen. Das Stück bleibt herb, sperrig, wunderlich. Kaum geistliche Musik im traditionellen Sinn, mehr eine Reflexion eines Zweiflers über die letzten Dinge, zu denen es keine Antworten gibt.
Beethoven als Selbstdenker und für Selbstdenker. Der Dirigent erzwang einen Moment der konzentrierten Ruhe. Dann gab es stehende Ovationen. Und leider auch tiefe Melancholie. Wie lange wird dieser große Dirigent uns noch die Rätsel der Musikgeschichte so faszinierend um die Ohren hauen?
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