Neue CD von Jazz-Gitarrist John Scofield: Der Musik geben, was sie braucht
Die eigenen vier Wände? Zwischen denen hielt sich der legendäre Jazz-Gitarrist John Scofield vor dem März 2020 selten viel länger als ein paar Tage auf.
Im Lockdown entwickelte John Scofield sein Solo-Programm
Denn der heute 70-jährige war permanent auf Weltreise, tourte in ganz unterschiedlichen Konstellationen um den Globus. Dann kam der Lockdown. Wie so viele andere Kreative nutzte der aus Ohio stammende und heute bei New York lebende Musiker die Phase der Immobilität für etwas, wofür er vor der Pandemie kaum Zeit gefunden hätte.
Während viele seiner Nachbarn also damit beschäftigt waren, ihre Keller aufzuräumen, auszumisten, die Bücherregale neu zu ordnen und zu entstauben, ihre Häuser zu renovieren oder den Garten auf Vordermann zu bringen, entwickelte "Sco", wie ihn seine Fans und Kollegen liebevoll nennen, zuhause das Solo-Programm, das ihm schon lange im Kopf herumgeisterte. Dabei hatte der Gitarrist eigentlich immer betont, wie wichtig es ihm sei, sich mit Kollegen auf der Bühne auszutauschen und sich gegenseitig zu pushen.
Neue John-Scofield-CD: Sensibler Umgang mit dem Looper
Als er im August 2021 in Katonah, New York ins Studio ging, um sein jetzt bei ECM erschienenes Album "solo" einzuspielen, war sein einziger Partner eine Apparatur, die Looper heißt. In München tapste "Sco" bei einem Konzert einmal in die selbstgebaute Falle, weil er so mit seinen vielen Effektgeräten beschäftigt war, dass er sich und den Fluss seines Spiels ausbremste.
Auf seiner CD nutzte er den digitalen Helfer dafür umso sensibler, etwa für kurze Unisono-Passagen, vor allem aber um grundierende Begleitakkorde zu spielen, die er mal zaghaft, fast schüchtern, dann wieder munter und sehr beschwingt anschlägt.
Wenn plötzlich die Langhals-Laute sirrt und flirrt
Aber er setzt den Looper auch ein, um reizvoll diffuse Klangflächen entstehen zu lassen. Als er den Traditional "Danny Boy" anstimmt - eine inoffizielle Nationalhymne der Iren - stiehlt sich John Scofield rasch von der Grünen Insel weg, um auf dem indischen Subkontinent zu landen.
"Americana"-Anleihen, Jazz, Blues und Country: Scofield baut Brücken
Sein Effektgerät ahmt den Sound der Langhals-Laute "Tanpura" nach, die in der indischen Musik für sirrend-flirrende Bordun-Klänge genutzt wird.
Insgesamt 13 Stücke enthält John Scofields "solo" - darunter Jazz-Standards wie "My Old Flame" oder "There Will Never Be Another You", fünf eigene Nummern, aber auch "Buddy Hollys "Not Fade away", Hank Williams "You Win Again" oder Keith Jarretts "Coral". Beim Brückenbauen zwischen "Americana"-Anleihen und Jazz, Blues und Country zeigt er sich als wahrer Meister.
Mal zart, mal augenzwinkernd, mal hart: Scofield findet den passenden Anschlag
Er gibt der Musik immer genau das, was sie gerade braucht. Und manchmal sogar noch ein wenig mehr - obwohl er sich auffallend zurückhält und wenige Töne spielt. Die aber haben es sich. Atemberaubend ist es, was Scofield da mal zart, mal mit einem Augenzwinkern, mal mit der von ihm gewohnten harten Attacke und diesem unvergleichlichen Zeitgefühl intoniert.
Wie er die Saiten dehnt, wie er die Gitarre singen und swingen lässt oder rhythmische Pointen setzt - einmalig. In der Eigenkomposition "Honest I Do" setzt er den Vibrato-Hebel seiner Gitarre so ein, dass eine fast eiernd-tremolierende Stimme entsteht. Urkomisch.
"Du spielst einfach mit den Fingern und musst nie aussetzen, um Atem zu holen"
Auf "solo" buddelt John Scofield in einer bemerkenswert prallen Schatztruhe. Was er aus dem reichen persönlichen Fundus verwendet, tönt anregend, mitreißend, berührend intim.
Und es zeugt von Altersweisheit. In der neuesten Ausgabe des Magazins "Jazz thing" erinnert sich "Sco" selbstkritisch an vergangene Zeiten: "Ich habe auch wieder viel zu viele Töne gespielt. Das passiert auf der Gitarre ganz leicht: Du spielst einfach mit den Fingern und musst nie aussetzen, um Atem zu holen."
John Scofield: "solo" (ECM/ Universal)