musica viva: "Jagden und Formen" - Verjüngung für das Mittelalter

Die musica viva des Bayerischen Rundfunks mit Werken von Wolfgang Rihm im Prinzregententheater.
Robert Braunmüller
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Tabea Zimmermann und Christian Gerhaher im Prinzregententheater.
Tabea Zimmermann und Christian Gerhaher im Prinzregententheater. © Astrid Ackermann

München - Wirklich interessante Orchestermusik entstand in den vergangenen 30 Jahren nicht für den großen symphonischen Apparat, sondern für flexible Besetzungen.

Werke dieser Art sind zwar bei bei Gastspielen des Ensemble Modern, des Ensemble Intercontemporain oder des Klangforums Wien immer wieder in München zu hören. Aber sie stehen ein wenig quer zum Format der musica viva, die in ihren Hauptkonzerten konzeptionell dem guten alten Solistenkonzert und dem symphonischen Großformat nachhängt.

Umständehalber hat die musica viva aus der Not eine Tugend gemacht und das BR-Symphonieorchester für Wolfgang Rihms "Jagden und Formen" im Prinzregententheater auf ein 25-köpfiges Ensemble aus einem Streichquintett, Harfe, Klavier, Bläser und Schlagzeug geschrumpft.

Das gut einstündige Werk ist eigentlich eine Ballettmusik für Sasha Waltz, die 2008 mit dem Ensemble Modern in Frankfurt uraufgeführt wurde. Aber trotz einiger Längen trägt die stets rastlos vorwärts drängende Musik wegen ihrer hohen Dichte auch ohne Tanz eine ganze Stunde. In seinem scharfen Klang und der Lust an sonoren Instrumenten wie Englischhorn und Kontrafagott ist das für Werke dieser mittleren Besetzung typisch.

Rihm, der seit der Jahrtausendwende öfter eine kalt gediegene Langeweile im Stil der Spätwerke von Richard Strauss oder Hans Werner Henze verbreitet, knüpft in "Jagden und Formen" an den Expressionismus früherer Werke wie "Tutuguri" an. Allerdings wirkt die Energie gedrängter, und die Musik fuchtelt auch längst nicht so theatralisch mit Schlagzeugexzessen herum wie früher.

Das BR-Symphonieorchester agierte unter Franck Ollu in dieser ziemlich späten Münchner Erstaufführung auf Augenhöhe mit spezialisierten Ensembles.

Zusammenhänge und Wiederholungen erschließen sich beim bloßen Hören dieser wuchernden Musik nicht. Aber es ist erstaunlich, dass sich die Dauerhurtigkeit der Musik nicht totläuft, sondern in immer wieder neu ansetzenden Steigerungen eine Stunde lang gefangen nimmt. Zuletzt häufen sich Schlusswendungen, aber das wirkliche Ende kommt überraschend.

Davor wiederholten Christian Gerhaher und Tabea Zimmermann das wenige Tage zuvor in Berlin uraufgeführte "Stabat mater" für Bariton und Bratsche.

Der 68-jährige Rihm hat es in seltener Passform beiden Künstlern auf den Leib geschneidert: Beide Künster sind Meister des sehrenden Schmerzenstons, der zwingend zu diesem mittelalterlichen Gedicht über das Leiden Mariens gehört.

Die Bratsche sorgt für einen dezenten, an eine barocke Viola d'amore erinnernden Archaismus, das starre Versmaß der Dichtung für einen Choraltonfall im Gesangspart.

Und bei aller Skepsis gegenüber geistlicher Musik im 21. Jahrhundert wirkt dieses Werk auch wegen der ungewöhnlichen Verbindung der mittleren Klangregister zwingend, wenn es mit einer kontrollierten Fülle nuancierter Trauer so differenziert dargeboten wird wie von Gerhaher und Zimmermann.

Die Wiederholung des Konzerts am Sonntag musste ausfallen: Ein Mitglied des Orchesters wurde positiv auf das Corona-Virus getestet. Die betreffende Person habe sich in Quarantäne begeben, teilt der BR mit. Aus Sicht des Betriebsarztes habe zu keiner Zeit Ansteckungsgefahren für die Mitwirkenden bestanden.

Am 2. Oktober spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks um 18 Uhr im Herkulessaal unter Peter Rundel Werke von Liza Lim, Morton Feldman und Yann Robin, um 21 Uhr folgen Werke von Xenakis, Berio und Scelsi. Karten bei BR Ticket unter Telefon 0800 5900 594.

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