Der Avatar hört vor

München - Was passiert, wenn eine andere Person das Hören übernimmt und die Wahrnehmung steuert? Wie fühlt sich ein solches entpersonalisiertes und gleichzeitig mehrdimensionales Hören an? Wie kann man generell die analoge Wahrnehmung aufbrechen und in ein 3D-Hören übertragen?
Experiment: Wann das 3D-Hören im Mittelpunkt des Konzerterlebens steht
Diese Fragen haben die Münchner Philharmoniker in den Räumlichkeiten der Brainlab AG im Tower des früheren Flughafens München-Riem in den Fokus gerückt. Im Normalfall entwickelt das Unternehmen medizinische Technik für das bildgesteuerte Operieren. Vom herkömmlichen Röntgenbild zur 3D-Analyse, lautet die Devise.
Nun wurde ein System ausgeklügelt, bei dem das 3D-Hören im Mittelpunkt des Konzerterlebens steht. Anderthalb Jahre wurde und gefeilt. Dieses "Unmögliche Hören", so das Motto, ist im Ergebnis ein Kopfhörer-Konzert. Das Besondere: Die Konzertbesucher entscheiden selber, ob sie die Musik wie gewohnt analog hören oder die Kopfhörer aufsetzen.
Sounddramaturg Julian Kämper agiert als Avatar
Wer sich für die Technik entscheiden, hört das, was Sounddramaturg Julian Kämper wahrnimmt oder wahrnehmen möchte. Er ist mit binauralen Mikrophonen ausgestattet, in Rot gekleidet und agiert als Avatar. Als eine Art fiktive, künstliche Person führt er durch das virtuelle Hören.

Je näher der Avatar an einen Schlagzeuger tritt, desto dominanter wird dessen Klang. Auf welche Details sich der Avatar im Hören jeweils konzentriert, entscheidet er nicht ganz allein. Gemeinsam mit den Ausübenden wird vorab ein grober Plan erstellt. Die Musiker sind in diesem Fall vier Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker.
Für das Konzert haben Sebastian Fröschl, Jörg Hannabach, Mathias Lachenmayr und Michael Leopold auch eine eigene Improvisation und eine Uraufführung von Marc Schmolling realisiert: "Excursions". Sonst aber wurden Werke von John Cage und Steve Reich verlebendigt.

Der räumliche, volle Surround-Klang wie auch das gewissermaßen fremdgesteuerte Hören erzielen völlig neuartige, andere Wirkungen. Wenn man selber nicht wirklich sieht, was man hört, kann das ziemlich irritieren - bis hin zu Schwindelgefühlen führen.
Format ist eine Neuheit im deutschen Orchesterleben
Für die Musiker ist hingegen das Spielen für die Ohren eines Menschen von 350 Anwesenden eine gänzlich andere Spielsituation. Diese 350 Konzertbesucher waren vor allem technikaffine, junge Leute. Sie haben ein Format erlebt, das in dieser Form eine Neuheit im deutschen Orchesterleben ist.
Als Vorgeschmack auf das am Wochenende vom 24. bis zum 26. Juni folgende Festival "MPHIL 360 Grad" passt das sehr gut, denn: In diesem Jahr erproben die Münchner Philharmoniker das ganze Areal rund um den Gasteig HP8 mit diversen Programmen und Formaten.
Das Sonderkonzert war hingegen erst der Auftakt einer langfristigen Partnerschaft zwischen dem Orchester und dem Unternehmen. In Planung sind Konzerte in den Operations-Laborräumen der Brainlab. Es bleibt also spannend bei den Philharmonikern.