Münchner Konzertmeister unter Valery Gergiev: Unser Mann in Moskau

Die Stadt hat sich von Valery Gergiev getrennt, ein Konzertmeister der Philharmoniker tritt nach wie vor mit seinem Ex-Chef in Russland auf.
Robert Braunmüller
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Lorenz Nasturica-Herschcowici mit Valery Gergiev in Moskau.
Lorenz Nasturica-Herschcowici mit Valery Gergiev in Moskau. © imago images/ITAR-TASS

München - Das Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg postet fleißig auf Instagram Fotos seiner Konzerte unter Valery Gergiev.

Auf vielen dieser Bilder sitzt am vordersten Pult der ersten Geigen ein auch in unserer kleinen Stadt nicht unbekannter Herr mit grauem Wuschelkopf: Lorenz Nasturica-Herschcowici, einer der drei Konzertmeister der Münchner Philharmoniker.

Mag sein, dass nicht jedes dieser Fotos aktuell ist. Aber angesichts der Fülle des Materials darf trotzdem als sicher gelten, dass Nasturica-Herschcowici am 24. April in Moskau und zwei Tage später als Konzertmeister in Kasan unter Gergievs Leitung gespielt hat. Das ist nicht verboten.

Aber angesichts dessen, dass die Münchner Philharmoniker und ihr Chefdirigent wegen der ausbleibenden Distanzierung Gergievs vom russischen Angriffskrieg seit dem 28. Februar getrennte Wege gehen, darf doch wenigstens die Stirn gerunzelt werden.

Nasturica-Herschcowici leitet auch das Kammerorchester der Philharmoniker 

Die nicht wenigen Nebenjobs dieses Konzertmeisters, der auch noch das Kammerorchester der Münchner Philharmoniker leitet, sind kein Geheimnis.

Als es noch halbwegs unverfänglich war, sich mit dem russischen Präsidenten sehen zu lassen: Lorenz Nasturica-Herschcowici (links) mit Putin und Gergiev bei der Eröffnung des Konzertsaal in Repino bei Moskau. (Archivbild)   Valery Gergiev
Als es noch halbwegs unverfänglich war, sich mit dem russischen Präsidenten sehen zu lassen: Lorenz Nasturica-Herschcowici (links) mit Putin und Gergiev bei der Eröffnung des Konzertsaal in Repino bei Moskau. (Archivbild) Valery Gergiev © imago/ITAR-TASS

"Seit 2013 leitet Lorenz Nasturica-Herschcowici das Stradivari-Ensemble des Mariinsky Theaters St. Petersburg, wo er als Dirigent und Solist tätig ist", heißt es auf der Homepage des städtischen Orchesters. "Ebenso ist er erster Gastkonzertmeister beim Mariinsky Theater unter der Leitung von Valery Gergiev." Leiter des Kammerorchesters der Philharmoniker ist Nasturica-Herschcowici übrigens auch noch.

Philharmoniker: Nebentätigkeiten des Konzertmeisters sind arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden

Im Prinzip ist es für die Spielkultur eines Orchesters förderlich, wenn seine Musiker anderswo auftreten und nicht nur im eigenen Klangsaft schmoren. Viele von Nasturica-Herschcowicis philharmonischen Kollegen lehren an Musikhochschulen, manche haben nur halbe Stellen inne.

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Die Nebentätigkeiten des Konzertmeisters seien arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden, heißt es dazu seitens der Philharmoniker. Bleibt die Geschmacksfrage: Dass Nasturica-Herschcowici ungeachtet des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit dem Musik-Repräsentanten des Putin-Regimes auftritt, gefalle nicht jedem seiner Kollegen, hört man. Es habe Gespräche gegeben, bei denen der Konzertmeister erklärt habe, es gehe ihm primär um das gemeinsame Musizieren mit Gergiev. Als politisches Bekenntnis möge man seine Auftritte in Russland nicht verstehen.

Nasturica-Herschcowici hat in Russland wohl nicht nur Freunde 

Wer sich ein wenig umhört, erfährt bei der Gelegenheit auch, dass Nasturica-Herschcowici als Gast-Konzertmeister in St. Petersburg maßgeblich die Besetzung des Mariinsky-Orchesters mitbestimmt. Die dortigen Musiker werden zwar gut bezahlt, aber sie können - anders als bei öffentlich finanzierten Orchestern in Deutschland - jederzeit gefeuert werden. Daher habe Nasturica-Herschcowici in Russland nicht nur Freunde, heißt es.

Florian Roth: "Schwerlich akzeptabel"

Auch die Kulturpolitiker aus dem Stadtrat finden wenig Gefallen an ihrem geigenden Kulturbotschafter. "Unabhängig von der rechtlichen Bewertung halte ich jede Beteiligung eines städtischen Beschäftigten an Aktivitäten in Russland, die als Teil einer kulturpolitisch orchestrierten Propagandamaschinerie Putins und seines Vorzeigekünstlers Gergiev gedeutet werden kann, für schwerlich akzeptabel", sagt dazu Florian Roth von den Grünen.

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Ähnlich äußert sich Julia Schönfeld-Knor: "Auch wenn die Tätigkeit aus rechtlicher Sicht möglich scheint, ist sie aus ethischen Gründen abzulehnen", sagt die SPD-Kultursprecherin, die dem Philharmonischen Rat angehört.

Der Ball liegt primär im Spielfeld der Philharmoniker 

Beatrix Burkhardt (CSU) wird am Donnerstag bei der nächsten Sitzung des Kulturausschusses von den Münchner Philharmonikern eine Erklärung verlangen. Tatsächlich liegt der Ball primär in deren Spielfeld: Ein Konzertmeister ist die Nr. 1 eines Orchesters, und insofern werfen die Auftritte von Nasturica-Herschcowici mit Valery Gergiev einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit der Münchner Philharmoniker.

Am 21. Mai will Nasturica-Herschcowici übrigens wieder ein Konzert des Mariinsky Theatre Stradivarius Ensembles in St. Petersburg leiten. Bis dahin sollte er entschieden haben, was ihm wichtiger ist: seine Konzertmeisterstelle in München oder Gastauftritte mit seinem Ex-Chef in Russland.

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3 Kommentare
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  • Schindler am 03.05.2022 22:27 Uhr / Bewertung:

    Was hier zur Zeit von Seiten der Medien und Lokalpolitik unter dem Deckmantel der „Ethik“ mit den besten Kultuschaffenden dieses Landes gemacht wird, beschämt mich zutiefst, ja macht mich einfach nur noch fassungslos und traurig. Einen der bester Geiger - ja Musiker - unserer Zeit weltweit - einfach aufgrund seiner musikalischen Tätigkeit in Russland zu diskreditieren, finde ich beschämend. Am Sonntag auf dem Konzert des russischen Pianisten Sokolov im Herkules-Saal wurden zurecht 6 Zugaben gespielt und es gab stehende Ovationen. Das ist die Freiheit der Kultur,. Wir dürfen nicht dieselben pauschalen Fehler machen, die so oft in der faschistischen Vergangenheit gemacht wurden. Die Hetze gegen Musiker und Kulturschaffende muss endlich stoppen. Künstler sind Botschafter der Kultur, und bauen Brücken des Herzens. Wir wären nicht besser als die Kriegstreibenden, wenn wir ohne Reflektion und Menschlichkeit pauschal verurteilen.

  • Yeswecan am 04.05.2022 08:41 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Schindler

    Es gibt hier keine Hetze gegen Kulturschaffende aus Russland, Sokolov lebt übrigens in den USA.Wohl aber gibt es einen verbrecherischen Krieg von Russland gegen die Ukraine. Und da muss sich jeder positionieren.Kunst ist nicht unpolitisch, auch Musik nicht. Das weiß der Konzertmeister Nasturica natürlich auch wenn er das opportunistisch und nicht politisch verstanden wissen will.Der Orchestervorstand der Münchner Philharmoniker sollte sich mal dazu äußern ( hat er ja bei Thielemann auch getan).

  • Yeswecan am 04.05.2022 08:53 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Schindler

    Korrektur: Sokolov lebt derzeit in Sankt Petersburg und Verona.

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