Münchener Kammerorchester unter Enrico Onofri: Geigenbögen über die Zeiten

Das kleinste große Orchester dieser Stadt hat sehr viele Tugenden, aber auch ein kleines Laster: Wenn das Münchener Kammerorchester bei Wiener Klassik mit Vollgas fährt, kann der Komponist so oft "piano" hinschreiben, wie er will - es wird eifrig drüber weggespielt.
Diese eiserne Regel galt bis vorgestern. Dem Dirigenten Enrico Onofri gelang es, in der Sinfonie c-moll von Joseph Martin Kraus das Orchester zu bremsen und zu dämpfen. Das ist gerade bei der manisch-depressiven Musik dieses Mozart-Zeitgenossen wichtig, die von heftigsten Kontrasten lebt. Onofri betreibt das Dirigieren keineswegs als höhere Form von Rechthaberei: Mozarts Haffner-Sinfonie wurde nicht einseitig auf Sturm und Drang gebürstet, sondern erklang am Ende des Konzerts strahlend und leuchtend in ihrer ganzen Pracht.
Onofri fremdelt auch bei der Musik der Gegenwart nicht
Onofri zählt zu der Gruppe von Dirigenten, mit denen das Orchester nach dem bevorstehenden Abschied seines Chefs Clemens Schuldt enger zusammenarbeiten wird. Gerade bei Wiener Klassik ist hier einiges zu erwarten: Onofris Version des historisch informieren Stils mit zurückhaltendem Vibrato bei den Streichern und viel Bläser-Glanz wirkt runder als manche Versuche seiner Kollegen. Sein Mozart strahlt Energie aus, aber ihre Entladungen wirken nie forciert oder gezwungen.
Auch bei der Musik der Gegenwart fremdelt Onofri im Unterschied zu manchen seiner Kollegen nicht. Über Lisa Streichs Violinkonzert "Neroli" mag man geteilter Auffassung sein, die Aufführung dieser sehr statischen, in Klangflächenblöcke gegliederten, dezidiert unlebendigen Musik geriet farbig und - soweit die Komposition es zuließ - ausgesprochen präzise.
Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hadert auch Streich mit der Idee des Solistischen im Sinn einer individuellen Stimme und des Dialogs zwischen Individuum und Kollektiv. Die Geige in diesem von Carolin Widmann angemessen kühl interpretierten Konzert eine weitere Klangfläche, die kaum auf das Orchester zu reagieren scheint. Gegen Ende trumpfen die Bläser mit einem schroff tonalen Choral-Fragment auf: schwer zu sagen, ob das nun als Verfremdung oder als typische Finalwendung zu verstehen sei. Nach der Pause folgten vor der Haffner-Sinfonie noch die Erstaufführung der "10 Präludien" des Dänen Hans Abrahamsen - leider etwas redselig geratene Streicher-Etüden, die im besten Fall lakonisch enden. Die letzte Miniatur, eine wirbelnde neoklassizistische Virtuosennummer macht allerdings viel Effekt: Wenn neugierige Streicherensembles nach einem überraschenden Zugaben-Rausschmeißer suchen - hier wäre einer.
BR Klassik sendet am 10. Mai, 20.05 Uhr eine Aufzeichnung