München: Platzt die Ticket-Blase bei den Adele-Konzerten?

Was wurde vor ein paar Monaten für ein Wirbel gemacht um die europaweit exklusive "Residency" von Adele in München. So nennt man das jetzt, wenn jemand mehr als drei Konzerte am selben Ort absolviert - er oder sie wird kurzzeitig quasi zur Mitbürgerin oder Mitbürger. Dafür wird eigens ein Pop-up-Stadion auf dem Messegelände in Riem errichtet, das 80.000 Menschen fassen soll. Immer mehr Shows wurden dazugebucht, nun sind es zehn. Die erste am 2. die letzte am 31. August.
"Ich kann mir keine wundervollere Art vorstellen, diesen aufregenden Sommer zu verbringen", ließ der englische Weltstar zum Start des Vorverkaufs wissen. Adele trat bis vor wenigen Wochen noch regelmäßig in Las Vegas auf und wähnt die eigene Veranstaltungsreihe auf Augenhöhe mit der Deutschland-EM und den Olympischen Spielen in Paris.
Und warum München? "München ist ein bisschen random", also zufällig, so Adele, "aber so ziemlich genau mitten in Europa." 2,2 Millionen Menschen hätten sich für den Vorverkauf der 800.000 verfügbaren Plätze registriert, so war zu lesen. Also braucht man eigentlich jetzt erst gar nicht mehr die Homepage www.adeleinmunich.de aufsuchen: wird eh längst alles ausverkauft sein.
Nun: Ist es nicht! Für jedes einzelne der zehn Konzerte sind ganz offiziell noch Tickets in so einigermaßen allen Kategorien zu haben: auch vor der Bühne. Offensichtlich sind rund zwei Drittel der anfänglich Interessierten wieder abgesprungen, als sie merkten, was der Spaß kostet. Die günstigste Karte gibt es zur Zeit für 185 Euro am 23. August: der Platz ist natürlich nicht so gut.
Im Großen und Ganzen sind die Adele-Fans an allen Tagen mit 300 Euro dabei. Wer vor die Bühne möchte, zahlt um die 400, manchmal auch 500 Euro. Das sind Preise, die vielleicht niemanden schocken, der sich während des Turniers schnell für 400 Euro ein EM-Ticket für irgendein nicht ausverkauftes Spiele gegönnt hat.

Platzt in München jetzt vielleicht die Ticket-Blase?
Die Idee für die Münchner "Residency" war natürlich, dass auch Adele-Fans aus Mailand, Madrid und Kopenhagen anreisen. Aber die verhalten sich unerwartet reserviert. Vielen ist das schlicht zu viel Geld, erst recht mit Reise- und Übernachtungskosten, zumal die Münchner Hoteliers mächtig zuschlagen. Und es ist ja auch unmoralisch: Der Superstar spart sich Tourneekosten, dafür sollen die Fans immer weiter reisen.
Kann man in München vielleicht gerade einer Blase beim Platzen zuschauen? Haben sich Adele, ihr Management und die Veranstalter Live Nation Entertainment und Leutgeb Entertainment Group mit zehn Konzerten etwa verzockt?
Das ist nicht ganz ausgeschlossen. Vielleicht hat Adele auch nicht mehr die ganz große Zugkraft wie vor knapp zehn Jahren. In Las Vegas musste sie jüngst Shows aus "gesundheitlichen Gründen" absagen. Auch das könnte manche Leute misstrauisch gemacht haben.
Bisher jedenfalls galt: Wenn du Superstar bist, kannst du verlangen, was du willst. Die Leute werden es zahlen. Ticketpreise von 150 bis 350 Euro sind der Normaltarif für Shows von Madonna oder Coldplay in diesem Jahr. Noch teurer ist es, bei Taylor Swift. Die spielt aber auch dreieinhalb Stunden lang. Swift, der mit Riesenabstand derzeit größte globale Popstar, ist sowieso ein Spezialfall. Da wollen praktisch alle hin.

Der Satz "Ich habe Karten für Taylor Swift bekommen", wird sich selbst unter Freunden allenfalls konspirativ zugeraunt. Wer nicht die Schwarzmarkthändler auf den Wiederverkaufsplattformen reich machen will, wo die Swift-Kartenpreise für die deutschen Konzerte bei etwa 600 Euro anfangen und schnell ins Vierstellige gehen, kann sich höchstens mit dem Konzertfilm "The Eras Tour" von und mit Taylor Swift trösten.
Der Preissprung ist höher als die Inflation
Dass wir in der Ära der horrend teuren Konzerte leben, lässt sich auch statistisch belegen. In den USA kostete das durchschnittliche Konzertticket vergangenes Jahr 123 Dollar, 2019 waren es noch 92 Dollar. Für die zehn umsatzstärksten Tourneen musste man im Schnitt sogar 153 Dollar berappen. Allein mit der Inflation lässt sich ein solcher Sprung nicht erklären. Womit dann?
Mit Gier? An einer Tournee verdienen eine Menge Menschen mit. Den Künstlern geht es darum, durch Liveshows möglichst viel von dem Geld reinzuholen, das ihnen durch den Wandel vom Tonträger zum Streaming abhandengekommen ist.
Letztlich legen sie mit Managements und Tourveranstaltern ein Einnahmeziel fest, von dem sich die Ticketpreise dann quasi ableiten lassen. Viele Bands touren geradezu obsessiv. Taylor Swift, so schätzt das "Forbes"-Magazin verdient pro Show - je nach Stadiongröße - zwischen acht und zwölf Millionen Euro. Die Show ist aufwendig und gespickt mit Leucht- und Knalleffekten, sehr viele Menschen arbeiten an ihrem Gelingen: Lohnkosten, Strom- und Gaspreise, Stadionmieten, alles ist viel teurer geworden. Dazu kommt, dass der Markt nicht so gut funktioniert.
Die Großunternehmen CTS Eventim und Live Nation Entertainment (zu denen auch Ticketmaster) gehört, greifen sich die größten Stücke, für den Rest bleiben Krümel. Und sie betreiben zugleich Veranstaltungsorte: CTS Eventim beispielsweise die Waldbühne in Berlin und die Kölner Lanxess-Arena. Sie verdienen also an mehreren entscheidenden Punkten der Wertschöpfungskette. Das US-Justizministerium sowie 30 US-Bundesstaaten haben Live Nation und Ticketmaster verklagt. Sie werfen dem Konzert Marktmissbrauch vor und fordern seine Aufspaltung.
Mit oft an den Haaren herbeigezogenen Gebühren schröpfen die Veranstalter unterdessen noch ein wenig mehr ab. Sogenannte "Platin"- oder "VIP"-Tickets bieten nicht etwa bessere Sicht oder kostenlose Erdnussflips, sie sind einfach nur teurer und werden ins Verkaufssystem eingespeist, wenn die meisten Karten weg und für grundsätzlich Zahlungsbereite eh schon alles egal ist.
Ein Algorithmus, der die Preise anpasst
Der Konzertkartenkauf als solcher ist überdies gespickt mit Hemm- und Ärgernissen. Man muss sich (angeblich, um es dem Schwarzmarkt schwer zu machen) vorab registrieren, eine bis mehrere Apps runterladen, ewig in virtuellen Warteschlangen hängen, nachweisen, dass man kein Roboter ist, und zittern.
Und wer sich bis hierhin noch nicht echauffiert: In den USA ist das sogenannte "Dynamic Pricing" seit langem gang und gäbe, bei uns erst seit ein paar Jahren: Je nach Nachfragesituation passt der Algorithmus hier die Preise an, in der Regel nach oben. Man kennt das etwa von Hotels oder Flügen, man kennt das zum Beispiel nicht von Kinos oder Supermärkten.
Fans der Grunge-Rock-Band Pearl Jam waren vor kurzem auf den Barrikaden, als sie für das Konzert in der Berliner Waldbühne am 3. Juli plötzlich nicht mehr die sowieso schon immensen 175 Euro, sondern mehr als 300 Euro hinblättern sollten. Sänger Eddie Vedder redete sich in einem Interview mit den ganzen Gründen wie Personalkosten, Energie, Aufwand raus, räumte aber ein, dass auch die Band gern ganz gut verdienen wolle.
Beim Münchner Fan-Fest bröckelten die Preise
Der Markt gibt es im Moment anscheinend her. Rock- und Pop-Konzerte sind die großen Gemeinschaftserlebnisse unserer Zeit. Viele wollen sich diese Spektakel, darunter die ebenfalls signifikant teurer gewordenen Festivals, nicht entgehen lassen. Instagram-Events wie Coachella (oder ja, auch Wacken) verschärfen den Druck, dabei sein zu wollen.
Trifft eine hohe Nachfrage auf ein endliches Angebot, steigen die Preise marktwirtschaftlich. Bis es bei der Nachfrage zu haken beginnt. Adele-Interessierte könnten jetzt darauf spekulieren, dass es die restlichen Karten am Ende günstiger geben wird. Beim nicht ausverkauften Münchener "Euro Fan Fest" mit Ed Sheeran kam man zwischenzeitlich zum halben Preis auf die Theresienwiese.
Oder aber, man lässt sich mal wieder in einem der kleinen und mittelgroßen Läden und Hallen blicken, wo die Nicht-Weltstars für dreißig, vierzig Euro gastieren. Die haben nämlich echt zu kämpfen.