Moritz Eggert hat Hitchcock neu vertont
In diesem Jahr wäre Alfred Hitchcock 125 Jahre alt geworden. Für seinen frühen Stummfilm "Blackmail" hat Moritz Eggert eine neue Musik komponiert. Ein Gespräch mit dem Komponisten über die einzigartige Kunst des Kultregisseurs, die Musik der Schnitte und die Gleichzeitigkeit von Komik und Grauen.
AZ: Herr Eggert, wann haben Sie das erste Mal einen Hitchcock-Film gesehen?
MORITZ EGGERT: Das war ziemlich früh. Ich war als Kind viel alleine, weil meine Mutter berufstätig im Theater war. Da habe ich ganze Sonntage zuhause vor dem Fernseher verbracht und auch viele Filme gesehen, die ich eigentlich noch gar nicht anschauen sollte. Da war definitiv auch Hitchcock mit dabei und seine Filme haben mich von Anfang an gepackt.

Was fasziniert Sie so besonders an Hitchcock?
Hitchcock ist ein Regisseur, bei dem die Bildsprache, die Erzählsprache und die eingesetzte Musik eine geschlossene Einheit bilden. Das bewundere ich sehr und hat eine ganz besondere Qualität.
Sie haben die Filmmusik zu Hitchcocks Film "Blackmail" geschrieben. Hat sich Ihre Sichtweise auf die Kunst des Regisseurs beim Komponieren verändert?
Mein Respekt vor seiner Kunst ist nur noch mehr gewachsen. Beim Komponieren habe ich mir die einzelnen Szenen natürlich tausendmal angeschaut. Da merkt man, mit wie viel Liebe und Sorgfalt und Kunstfertigkeit wirklich jedes Detail in diesem Film absolut stimmt. Alles ist absichtlich, nichts zufällig. Selbst bei den Massenszenen im Restaurant oder auf der Straße ist jede einzelne der Figuren inszeniert. Dabei wirken die Gesten immer echt und authentisch und ist jede hochgezogene Augenbraue gezielt eingesetzt. Zudem war Hitchcock ein Meister darin, Horror und Schrecken mit Humor und Absurdität zusammen zu bringen. In seinen Filmen gibt es immer beide Seiten: Tragik und Humor, Verzweiflung und Lebensfreude.
Welche Rolle spielt bei Hitchcock die Musik?
Die Filme sind ohne die Musik nicht zu denken. Hitchcock hatte ja eine sehr enge Zusammenarbeit mit Bernhard Hermann, der ein toller Komponist war, viel Einfühlungsvermögen hatte und einen ganz eigenen Stil. Irgendwann haben sich Hitchcock und Hermann dann verkracht, was wirklich schade ist.
Was hat es nun mit dem Film "Blackmail" auf sich, einem eher unbekannten Hitchcock-Streifen?
Blackmail ist im Mainstream weniger bekannt, aber bei Cineasten und Hitchcock-Kennern sehr berühmt als eine der wichtigsten Produktionen des englischen Kinos in dieser Zeit. Allerdings gab es keine wirklich gute Filmmusik zu diesem Film, deshalb war hier noch viel Potenzial. Das hat mich sehr gereizt.

Wie sind Sie beim Komponieren vorgegangen?
Ich habe den Film zig Male angesehen und mich in die einzelnen Szenen eingefühlt. Nach und nach sind dann Ideen entstanden, die schließlich zu Motiven wurden. Hitchcock selbst scheint ein gutes musikalisches Gefühl gehabt zu haben. Wenn man die Bilder sieht, zwingt sich die Musik quasi auf und ist im Schnitt ein klarer Rhythmus zu erkennen.
Was unterscheidet die Stummfilm-Musik von einem klassischen Soundtrack?
Das ist ein Riesenunterschied. Beim Tonfilm konkurriere ich mit der Tonspur, es gibt Dialoge und Geräusche und die Musik wirkt oft nur im Hintergrund. Beim Stummfilm muss ich als Komponist alles machen, nicht nur die Emotionen, sondern auch die Geräuschkulisse, sofern sie sich im Bild aufdrängt. In "Blackmail" gibt es zum Beispiel Szenen, in denen jemand klopft, klingelt oder schreit. Wenn ich diese Sachen in der Musik komplett ignoriere, fehlt etwas.

Mit welchen musikalischen Mitteln haben Sie bei der Vertonung von "Blackmail" gearbeitet?
Die Filmmusik wurde von einem Orchester eingespielt, aber es ist kein normaler Orchesterklang. Bei der Streicherbesetzung ist die erste Geige doppelt so stark besetzt wie die zweite Geige, dann gibt es ein Bass-Saxofon, zwei Piccoloflöten, aber keine Flöten, nur eine Klarinette, aber drei Fagotte… Hinzu kommen außergewöhnliche Instrumente, zum Beispiel das Cymbalon, ein Vierteltonklavier mit Samples.
Wie war es für Sie, mit Ihrer Musik nun Teil eines Hitchcock-Films zu werden?
Meine Arbeitshaltung war: Hitchcock lebt und ich muss das jetzt gut machen. Ich habe dabei auch mit den Schauspielern im Film kommuniziert und mich gefühlt, als würde ich posthum mit im Filmteam sein. Auf diese Weise mit Hitchcock zusammenarbeiten zu können, war eine Riesenehre.
Alfred Hitchcocks "Blackmail" mit der Musik von Moritz Eggert noch bis zum 30. Oktober in der Arte-Mediathek. Das Staatstheater Augsburg zeigt ab 19. Oktober Eggerts Oper "Die letzte Verschwörung", Infos unter staatstheater-augsburg.de
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