Mit Paul Müller auf dem Oktoberfest

Die Konzertsaison hat zwar schon – sanft plätschernd – begonnen. Aber traditionell braucht der Münchner nach dem Oktoberfest eine Woche Zeit, um seine Erkältung auszukurieren. Dann folgt der große musikalischen Anstich, wenn die Münchner Philharmoniker ihr 125-jähriges Bestehen mit einem Fest-Wochenende feiern. Valery Gergiev dirigiert – unter anderem – die monumentale „Symphonie der Tausend“ von Gustav Mahler, die 1910 in Rufweite der Theresienwiese unter Leitung des Komponisten uraufgeführt wurde.
AZ: Herr Müller, Gustav Mahlers Symphonie Nr. 8 wurde in der Nähe der Wiesn uraufgeführt. Wo war das genau?
PAUL MÜLLER: In der Neuen Musikfesthalle auf dem alten Messegelände, der heutigen Halle 1 des Verkehrszentrums des Deutschen Museums auf der Schwanthalerhöhe. Mahler dirigierte die Uraufführung mit dem Orchester des Konzertvereins, dem Vorläufer der Philharmoniker. Es gab rund 1000 Mitwirkende, daher der Beiname der Achten als „Symphonie der Tausend“. Auch zeitlich war das im Umfeld des Oktoberfests: am 12. September 1910.
Damals gab es die Philharmoniker schon 13 Jahre.
Das erste Konzert fand am 13. Oktober 1893 in Augsburg statt, einen Tag danach spielte das Orchester zum ersten Mal in München. Nach der Gründung durch Franz Kaim erfreute sich das Orchester schnell einer breiten, bürgerschaftlichen Unterstützung – eine Tradition, die wir in der engen Bindung an unser Publikum bis heute weiterführen.
Zum Jubiläum gibt es aber nicht nur die Achte.
Wir feiern mit einer Neuauflage unseres Festivals „MPhil 360 Grad“. Vor der Achten gibt es am Nachmittag ein Familienkonzert mit dem Mariinsky -Orchester unter Valery Gergiev. Dort wird unter anderem Tschaikowskys „Nussknacker“ gespielt. Unsere Jubiläumssaison steht unter dem Motto „Brücken bauen“ – eine unserer Brücken ist die zwischen dem russischen und dem deutschen Repertoire.
Deshalb auch Igor Strawinskys „Psalmensymphonie“ vor Mahlers Achter.
Beide Werke verwenden lateinische Texte, beide Komponisten testen die Grenzen der symphonischen Form aus und lösen sie auch auf.
Das nächste Konzert folgt gleich am nächsten Morgen.
Da spielen wir Werke, die mit der Geschichte des Orchesters verbunden sind, wie die Ouvertüre zu Bedrich Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“, die im allerersten Konzert aufgeführt wurde. Für Paul Hindemiths „Symphonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber“ hat der Chefdirigent Sergiu Celibidache eigene Glocken anfertigen lassen, die wieder erklingen werden. Das „Symphonische Präludium“ von Anton Bruckner haben die Münchner Philharmoniker uraufgeführt. Eine Kopie der handschriftlichen Partitur befindet sich in unserem Archiv. Die Wiener Philharmoniker lehnten die Uraufführung ab – weil sie nicht sicher waren, ob das Stück wirklich von Bruckner stammt.
Außerdem gibt es noch den zweiten Satz der Zweiten von Gustav Mahler.
Den haben , den die Philharmoniker bei ihrem ersten Gastspiel im Wiener Musikverein erstaufgeführt – noch vor der ganzen Symphonie.
Auf diese Matinee folgt ein ziemlich bayerisches Konzert in der Philharmonie.
Am Nachmittag gibt es dort ein Programm unter dem Motto „Frack trifft Tracht“ im Zusammenarbeit mit dem Musikbund Ober- und Niederbayern.
Das bringt uns wieder auf die Wiesn zurück.
Die Bläser unseres Orchesters spielen regelmäßig auf der Oidn Wiesn. Viele unserer Musiker haben als Jugendliche in Oberbayern oder Tirol in Blaskapellen angefangen. „Bei Frack trifft Tracht“ spielen sie unter Leitung unseres Klarinettisten Albert Osterhammer zusammen mit Laien. Danach gibt es ein Salonkonzert im Foyer.
Was hat das mit der Gründung zu tun?
Bereits am 15. Oktober etablierten die Musiker am Sonntag Nachmittag Unterhaltungskonzerte mit Restauration. Das ist zur Tradition des Orchesters geworden: Bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs hinein wurden die Münchner Philharmoniker an den Freistaat als Kurorchester nach Bad Kissingen verliehen.
Zum Jubiläum wurde auch die Geschichte des Orchesters durchleuchtet. Gibt es da neue Erkenntnisse?
Das lässt sich nicht in fünf Sätzen zusammenfassen. Wir haben uns beim Symposium „Musik Macht Politik – Politik Macht Musik“ in der Politischen Akademie Tutzing mit diesem Thema beschäftigt. Jeder, der ein Theater oder ein Orchester leitet, braucht Autorität. Die hat zwingend mit Macht zu tun. Und man kann keine Musik machen, ohne gleichzeitig das Risiko einzugehen, auch in einem politisch zu interpretierenden Zusammenhang zu stehen.
Woran uns Valery Gergiev – unfreiwillig – immer wieder erinnert.
Auch darüber haben wir in Tutzing gesprochen. Mit allem was wir tun, sind wir zwangsläufig in politischen Kontexten interpretierbar. Daraus entsteht ein Spannungsfeld aus Respekt gegenüber bedeutenden künstlerischen Leistungen und einem politisch denkenden und handelnden Künstler und Menschen - natürlich soweit dies innerhalb des für uns gültigen demokratischen Einverständnisses bleibt.
Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wurde in Moskau geboren. Müssen Sie da trinkfest sein?
In der ersten Saison war Gergiev mit uns auf der Wiesn und es hat ihm Spaß gemacht. Die Steuerung der Alkoholmenge obliegt jedem Menschen selbst. Wir trinken schon man ein Glas Wein zusammen. Aber das hält sich in engen Grenzen – ich und noch mehr er haben Berufe, in denen man alles geben muss.
Sie waren früher Intendant der Bamberger Symphoniker. Würden Sie das dortige Rauchbier dem Wiesnbier vorziehen?
Eindeutig nein. Allerdings schmeckt es am Ort der Entstehung besser als außerhalb.