Mit Kirill Petrenko durch Europa

Das Bayerische Staatsorchester mit seinem Generalmusikdirektor Kirill Petrenko in Mailand, Paris und Luxemburg
Felicia Englmann |
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Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
Christoph Brech 4 Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
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Christoph Brech 4 Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
Christoph Brech 4 Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.
Christoph Brech 4 Impressionen von der Europatournee des Bayerischen Staatsorchesters.

"Hier sind Sie wirklich auf dem Präsentierteller. Hier ist weniger mehr“, sagt Kirill Petrenko, und lässt die Stelle aus dem dritten Satz von Tschaikowskys Symphonie Nr. 5 nochmals spielen. Ist er zufrieden, nickt er und geht weiter zu nächsten Stelle.

Keine Minute der 45-minütigen Anspielprobe im Théâtre des Champs Elysées bleibt ungenutzt. Petrenko feilt, treibt das Bayerische Staatsorchester zur Höchstleistung, indem er bremst und reduziert und damit die entsprechenden Stellen fokussiert. Die historische Spielstätte macht es nicht einfacher. „Sie hören, wie massiv das klingt, wenn man sich ein bisschen gehen lässt“, warnt Petrenko und beendet die Probe mit „Toi-to-toi.“

Hinter der Bühne gibt es Tee aus dem Plastikbecher und lachende Gesichter. Ein verspannter Nacken wird mit Trommelschlägeln beklopft. Es kann eigentlich nichts schiefgehen. Das Staatsorchester reitet auf einer Erfolgswelle durch Europa. Der Tournee-Auftakt an der Mailänder Scala, die Abende in Luzern, Dortmund und Bonn – überall gab es Begeisterung. Nun also Paris an einem heißen Spätsommertag mit Wagners Vorspiel zu den „Meistersingern“, Tschaikowsky und den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss, gesungen von Diana Damrau.

Petrenko und das Orchester finden stets die richtige Kombination aus Präzision und Emotion. Die Empfindsamkeit der Lieder – tief berührend. Tschaikowskys Schicksalsmotiv von rollt mit der Wucht eines Sommergewitters durch den Saal. Petrenko lässt manchmal den Taktstock ruhen, um nur mit dem linken Zeigefinger einen Einsatz für die Bläser zu geben. Er vertraut dem Orchester, die Musiker vertrauen ihm, auch wenn er jetzt eine Stelle spontan mit mehr Pfeffer dirigiert.
In der Zugabe, Glinkas „Ruslan und Ludmilla“ im Turbo-Tempo, geht es sogar mit dem Präzisonsarbeiter Petrenko durch. Er deutet an, die ersten Geigen mit dem Ellbogen zu knuffen. Der introvertierte Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper blüht auf.

Im Mittelpunkt

Konzertmeister Markus Wolf ist beglückt: „Es ist wunderbar, wenn wir auch als Symphonieorchester so einen Erfolg haben. Im Opernhaus, im Opernensemble, sind wir ja nur ein Teil des Geschehens. Hier sind wir Mittelpunkt. Da merkt man, wie schön unser Klang ist. Der kommt oft bei den Akademiekonzerten im Nationaltheater gar nicht so rüber.“

Der heiße Pariser Sommerabend klingt für die Musiker in einem Pariser Bistro aus, während die Koffer und Kisten schon in der Fracht nach Luxemburg sind. 113 Musiker, 120 Instrumente, zehn Städte, 5 650 Reisekilometer – auch logistisch eine Meisterleistung.

Die Zugfahrt nach Luxemburg nutzt Guido Gärtner für Mail und Telefonate. Der Geiger ist als Geschäftsführer der Konzertgesellschaft des Bayerischen Staatsorchesters für die Tournee-Organisation der zuständig. Die Staatsoper unterstützt ihn personell, ideell und organisatorisch, die Musiker sowieso. Die sind eigentlich in ihren Theaterferien. Wer mitreist, ist freiwillig dabei. Auch Gärtner ist beseelt: „Die Qualität des Orchesters ist gerade so fantastisch, und diese Zeit mit Petrenko ist so einmalig – es wäre fast fahrlässig, so eine Gelegenheit, uns in Europa präsentieren, zu versäumen.“

In der Philharmonie Luxembourg eröffnen die Münchner die neue Konzertsaison. Sommerhitze auch hier. Sopranistin Diana Damrau trinkt kalte Cola: „Für mich ist es die erste Erfahrung, mit einer festen Truppe auf Tournee. Dass wir vor jedem Konzert eine Anspielprobe machen, ist purer Luxus. Weil wir natürlich den Saal testen, aber wir können auch an Stellen feilen, und da ist ja unser Herr Petrenko groß. Wir sind alle im musikalischen Himmel hier.“
Auch an diesem Abend wird gefeilt – an sich entwickelnder Harmonik und einem Mezzopiano in Györgi Ligetis „Lontano“, an einem Bratschen-Staccato in der „Sinfonia Domestica“ von Richard Strauss, vor allem aber erneut am Vertrauen. Er werde sich in „Lontano“ weiter zurücknehmen, sagt Petrenko seinen Musikern, und „Sie versuchen, unabhängiger zu spielen.“

Ein beflügelnder Dirigent

Programmablauf und Stücke variieren im Lauf der Tournee. Das hält die Spannung. „Lontano“ in Luxemburg: ein Klanggemälde mit eisig schimmernden Flächen. Gänsehaut im Publikum, Ergriffenheit dann bei den „Vier letzten Liedern“. Um Innigkeit zu erzeugen, muss Petrenko nur den Kopf neigen, manchmal reicht es, wenn er den Abstellwinkel des Zeigefingers verändert, um eine Nuance mehr Zärtlichkeit herauszuholen. Seine Bewegungen sind auf ein Minimum reduziert, um maximale Emotion und Substanz zu schaffen. „Wir sind unheimlich verwachsen mit ihm“, sagt Gärtner, und Diana Damrau schwärmt: „Er geht wirklich ins absolute Detail. Aber er lässt dann Freiheit. Und das beflügelt alle.“

Sekundenlang bleibt es still im Saal, als das letzte Lied verklungen ist. Die „Sinfonia Domestica“ dann ein Rausch, ein brausender Wohlklang, und nun zeigt Petrenko, ebenso entfesselt, die ganz großen Gesten – und schafft dennoch einen Übergang zwischen zwei massiven orchestralen Felsen einen hauchfeinen, schillernden Faden aus Streicher- und Flötentönen zu spinnen. Beglücktes Publikum.

Nach Stationen in Berlin und Wien gibt es kommende Woche zwei Akademiekonzerte im Nationaltheater, bevor es weiter nach Frankfurt geht und die Opernsaison im Nationaltheater beginnt. Guido Gärtner sagt: „Man kommt natürlich mit einer viel breiteren Brust wieder nach Hause zurück. Und auch dieses Wiederkehren ist unglaublich wichtig.“ 

Petrenko dirigiert das Akademiekonzert am Mo und Di, 20 Uhr, im Nationaltheater (ausverkauft), Übertragungen: 19. 9., BR-Klassik, 20. 9., staatsoper.tv

 

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