Mit der Axt an den Flügel

Seit 1975 hat er viel mit Leonard Bernstein gearbeitet. Pünktlich zu dessen 100. Geburtstag am heutigen Samstag legt der polnische Pianist Krystian Zimerman ein Werk des Dirigenten und Komponisten vor: die Sinfonie Nr. 2 „The Age of Anxiety“ von 1949 nach einem Poem von W.H. Auden. Seine Partner sind Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker.
AZ: Herr Zimerman, haben Sie Bernstein wirklich versprochen, mit ihm am 100. Geburtstag „Age of Anxiety“ aufzuführen? Oder ist das ein PR-Gag?
KRYSTIAN ZIMERMAN: Das war ein Witz nach einem Konzert in der Carnegie Hall in New York. In der Garderobe konnten wir reden und uns austauschen. Wir hatten uns zuvor ja nie privat gesehen. Jetzt waren unsere Familien auch dabei: die Kinder, Babysitter. Das war sehr lustig.
Wie war Bernstein beim Proben?
Sehr intensiv, das war Elektrizität pur. Sein Schlag war genügend klar für die, die ihn lesen konnten. Herbert von Karajan war vielleicht besser vom Schlagen, aber: Auch er war meiner Meinung nach nicht der größte Handwerker. Von allen Dirigenten, mit denen ich gearbeitet habe, waren wohl Kirill Kondrashin, Lorin Maazel und Pierre Boulez die größten Schlagtechniker. Bernstein konnte aber aus den Musikern etwas herausholen, was sie in sich hatten, ohne es zu wissen. Das war seine große Stärke.
Was haben Sie von Bernstein gelernt?
Sehr viel, gerade deswegen ist mir die neue CD so wichtig! Bernstein verdanke ich vor allem eine Courage: sowohl als Interpret als auch als Bürger, der begreift, was seine Pflicht ist. Je höher Sie auf der Karriereleiter gelangen, desto größer ist Ihr Einfluss auf die Menschen. Es ist nicht eine Wahl, davon Gebrauch zu machen, sondern eine Pflicht.
In der antikommunistischen McCarthy-Ära wurde Bernstein massiv angegriffen. Auch um Ihre Person ist es zu Kontroversen gekommen. Sind Sie beide Verwandte im Geiste?
In puncto der erwähnten Courage ist das so, aber: Ich bin vor allem für Kunst und Kultur zuständig. Auch in Polen war ich nie politisch aktiv.
Allerdings kursieren im Internet Äußerungen von Ihnen, die durchaus politisch sind.
Wenn ich lese, was ich alles gesagt haben soll, wird mir ganz schlecht! Und das, obwohl heute alles aufgezeichnet werden kann: Ich kann beweisen, dass ich das nie gesagt. Ich habe zum Beispiel nie gesagt, dass ich nicht mehr in Amerika spielen werde.
Wie gehen Sie damit um?
Ich habe die Piraten-Partei gebeten, meine Aussage im Internet zu veröffentlichen. Sie haben das gemacht. Irgendwo soll das zu finden sein. Ich interessiere mich nicht für solche Dinge. Mein damaliges Haus in den USA wurde abgebrannt. Bis vor kurzem durfte ich zudem nicht in die USA einreisen, also: Ich hätte es dürfen, aber wäre wohl verhaftet worden.
Warum?
Das werde ich demnächst ausführlich im Internet dokumentieren. Es ist überhaupt nicht politisch, aber sehr kompliziert. Das ist sogar eine lustige Geschichte, nicht so dramatisch, wie es klingt. Wissen Sie, für mich waren die USA nicht praktisch. Ich reise mit dem eigenen Flügel, und die Entfernungen dort sind gewaltig: und damit auch die Kosten.
Es heißt, dass in den USA Ihr Flügel vernichtet worden sei. Stimmt das?
Nein, zunächst einmal: Das war nicht mein eigenes Instrument. Es wurde auch nicht vernichtet. Ich habe es repariert und mit ihm das Zweite Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow aufgenommen. Was zerstört wurde, war eine Klaviatur.
Wieso?
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 waren die Sicherheitskontrollen auf den Flughäfen deutlich strenger, gerade in New York. Die Hammerköpfe sind mit Äther getränkt und anderen Substanzen, die sonst in Bomben zu finden sind. Der arme Junge bei der Sicherheitskontrolle sah plötzlich alle Warnsignale rot aufleuchten. Er hatte noch nie einen Flügel gesehen, ein schwarzer großer Kasten. Ihm wurde eine Axt ausgehändigt, um sich das genauer anzuschauen. Zum Glück ist er gleich vorne hineingekommen, hat aber die Klaviatur herausgerissen.
Und dann?
Mir wurde ein Sack voller Tasten und Hammerköpfe überreicht. Der Geheimdienst hat versucht mir zu erklären, dass ich das aus der Schweiz, wo ich lebe, genauso verschickt hätte. Auf dem Sack stand aber: „US Post“. Den Beamten fragte ich, wo man denn bitteschön in der Schweiz einen solchen Sack auftreiben könne. Er erwiderte: „Das ist nicht mein Problem. Ich bin nur der Überbringer.“
Sind Sie ausgeflippt?
Natürlich, aber bei solchen Ereignissen habe ich eine gewisse Distanz. Ich denke mir: „Es wird richtig lustig sein, wenn du die Geschichte später erzählst. Warum lachst du nicht gleich!“ Meine Frau lebt das auch so.
Warum spielen Sie so gut wie nie in München?
Bald. Es ist einmal etwas Blödes passiert, über das ich nicht sprechen möchte und das noch verdaut werden muss. Aber ich komme öfters mit meiner Frau nach München. Wir gehen zum Essen in den „Franziskaner“, spazieren herum. Wir lieben die Stadt sehr.
Krystian Zimermans Aufnahme von „The Age of Anxiety“ mit Simon Rattle als CD bei der Deutschen Grammphon