Mit Anton Bruckner in St. Florian

Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker spielen Bruckner in der Hörweite seiner Gruft in St. Florian
von  Georg Etscheit
Die Münchner Philharmoniker in St. Florian.
Die Münchner Philharmoniker in St. Florian. © A. Röbl

Ein Besuch am Grab Anton Bruckners ist Ehrensache. Auch für Stephan Haack, stellvertretender Solocelist der Münchner Philharmoniker und Urgestein des Orchesters. Er war schon mit Celi in St. Florian. „Hab mir schnell noch ein paar Tipps geholt“, witzelt der Musiker, als er die Gruft des Klosters verlässt.

Hier liegen die Pröbste der berühmten Abtei mit einem der prächtigsten Gotteshäuser ganz Österreichs, außerdem eine Habsburgerkönigin aus dem 16. Jahrhundert. Und ER natürlich, genau unter der mächtigen Orgel, die seinen Namen trägt. „Prof. Anton Bruckner“ steht auf der Metalltafel des eher schlichten Sarkophags. In Österreich liebt man Titel.

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Während Haack mit fliegenden Frackschößen hinauf in die Basilika eilt, füllt sich der riesige Raum mit Zuhörern. Auf dem Podium im Chor laufen die letzten Vorbereitungen für ein ganz besonderes Konzert der Philharmoniker. Es ist das Auftaktkonzert für einen Zyklus sämtlicher Bruckner-Symphonien - ein Mammutprojekt. Unter Leitung von Valery Gergiev (und in Zusammenarbeit mit dem Brucknerfest Linz) wird das Orchester bis 2019 in St. Florian alle neun Symphonien des Meisters aufführen und dabei live auf CD und DVD einspielen.

Der erste Abend mit Bruckners Symphonien Nr. 1 und 3 wurde sogar auf dem Bezahlsender Mezzo TV übertragen, angeblich an 54 Millionen Haushalte in 60 Ländern. Am zweiten Abend gab es die 4. Symphonie, die „Romantische“, gekoppelt mit Schuberts „Unvollendeter“. Nächstes Jahr stehen die Symphonien 2, 8 und 9, im Jahre 2019 dann 5, 6 und 7 auf dem Programm.

Die komplette Kassette soll – auf dem hauseigenen Label – im Februar 2020 vorliegen und wird dem legendären, posthum veröffentlichten Bruckner-Konvolut von Celibidache Konkurrenz machen. Das ist freilich keine echte Gesamteinspielung, weil der Maestro um die 1. und 2. Symphonie einen Bogen machte.

Keine Klangkathedralen

Bruckner hat seine Symphonien nicht für Kirchenräume komponiert, auch wenn in klischeehafter Verzerrung immer wieder vom „Musikanten Gottes“ die Rede ist, seine Symphonien als „Klangkathedralen“ bezeichnet werden. Der Züricher Musikwissenschaftler Hans-Joachim Hinrichsen schreibt in seiner 2016 erschienenen Bruckner-Monographie, dass Bruckners „systematische Pflege der Kirchenmusik“ in dem Moment „abrupt“ endete, als er von Linz in die Metropole Wien übersiedelte und seine Profession aus der Bindung an die Kirche löste. „Sein Weg zur Sinfonie ist zugleich sein Weg von Linz nach Wien, und seine Entscheidung für die Sinfonie ist ein Bekenntnis zu den kulturellen Institutionen einer Selbstorganisation des Bürgertums.“

Trotzdem wollen immer wieder Orchester und Dirigenten vom Genius loci, der viel beschworenen Aura des heiligen Ortes nahe Linz profitieren, an dem Bruckner als Sängerknabe und Organist seine Atem beraubende Karriere begonnen hatte und schließlich seine letzte Ruhestätte fand.

Für eine Fernsehübertragung und eine DVD-Aufnahme ist es natürlich effektvoller, auf bunte Deckengemälde, geschnitztes Chorgestühl und pausbackige Engel zu zoomen als auf angestrengt zuhörendes Publikum in der Münchner Philharmonie. Und wenn man weiß, dass ein Stockwerk tiefer der dem Vernehmen nach noch recht gut erhaltene Leichnam eines der größten Symphonikers der Musikgeschichte liegt, klingt alles schon mal viel bedeutungsvoller.

Doch der Genius hat seine Tücken. Bis zu sechs Sekunden Nachhall in der Basilika können aus Bruckners schroff aufragenden Klanggebirgen endmoränenartige Schutthaufen machen. Ganz vorne geht es noch, da klingt die Kirche sogar ganz passabel. Aber je weiter nach hinten man kommt, umso breiiger wird es, vor allem, wenn das Orchester aufdreht. Auf der CD wird man davon übrigens weniger hören, weil die meisten Mikrophone im Orchester platziert sind.

Einkalkuliertes Echo?

Gergiev versucht bei den Proben, mit allerlei Tricks die Tücken der Akustik in den Griff zu bekommen. Er tüftelt an der Aufstellung des Orchesters, wie er es auch in der Münchner Philharmonie im Gasteig macht, um den dortigen Unbilden zu trotzen. „Ich glaube fest daran, dass man sich an akustische Bedingungen anpassen kann“, sagt er. Die Verhältnisse in St. Florian seien zwar heikel, böten aber auch Chancen. Gergiev meint sogar, dass Bruckner in seinen Symphonien die Echos gewissermaßen einkalkuliert habe, womit er nicht ganz auf der Linie der modernen Bruckner-Forschung liegen dürfte.

Eingedenk der akustischen Kalamitäten gelangen die 3. und vor allem die 4. Symphonie überzeugend. Wie die Philis mit ihrer speziellen Praxis des Tremolos spannungsvoll vibrierende Klangflächen gestalten, wie sie die bei Bruckner essentiellen Steigerungen aufbauen und urplötzlich in zartestes Pianissimo zurückfallen, macht ihnen so leicht keiner nach. Und das warme, voluminöse Blech! Allerdings fragt man sich, was an dieser Interpretation nun Gergiev ist und was von den Philis geliefert wird, die ja zumindest in punkto Bruckner noch immer fest in der Tradition Celis stehen.

Hochamt

Die im Adagio recht faserig, in den Ecksätzen klumpig klingende 1. Symphonie in der Linzer Urfassung, mit der das zweitägige Programm eröffnet wurde, litt ein wenig unter sich selbst. Hier hatte Bruckner erkennbar noch nicht zu seiner späteren Meisterschaft gefunden. Vielleicht hätte man auch ein bisschen intensiver proben müssen.

Interessanterweise befördert die hallige Akustik in St. Florian eine mystische Grundfärbung, mit der man sich, ganz automatisch dem Klangbild annähert, das Celi in seinen Bruckner-„Hochämtern“ pflegte und das eigentlich nicht Gergievs Markenzeichen ist. Denn der Russe geriert sich weniger als musikalischer Hohepriester mit Welterklärungsanspruch, sondern als diesseitiger Partitur-Exeget. „Do not compose“, herrscht er gelegentlich seine Musiker an. Doch der Schatten des Alten ist lang. Und in St. Florian sogar noch ein bisschen länger.

 

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