Max Raabe mit "Eine Nacht in Berlin" - die AZ-Kritik

Euripides hatte bereits um 450 vor Jesus Christus – allerdings auf Griechisch – den alten, lateinischen Grundsatz einer guten Show formuliert: „Variatio delectat – also: Abwechslung schafft Amüsement“. Dieser Gedanke steht bei Künstlern aber im Gegensatz zum Bedürfnis von Fans, der Star müsse immer der Gleiche bleiben und das Gleiche machen. Ausflüge in Anderes, Neues werden von Anhängern oft mit Liebesentzug oder Verstörung beantwortet.
Max Raabe hat Anfang des Jahrtausends Ausflüge in den Pop unternommen und Songs von Abba bis Tom Jones seinen näselnd ironischen 20er-Kopfstimmen-Sound übergestülpt. Und er hat in den letzten Jahren auch die ideale Berliner Neue-Deutsche-Waverin Annette Humpe für Hits gewonnen. So singt Max Raabe auch in der zweiten Hälfte im Deutschen Theater den sanft ironischen Emanzensong aus männlicher Sicht „Für Frauen ist das kein Problem“, die Frauen-Hommage „Du passt auf mich auf“ und als dritte Zugabe die melancholisch-narzisstische Analyse „Küssen kann man nicht alleine“.
Aber sonst bleibt unser Mann am Klavier lehnend der gewohnte Minimalist. Für jedes Lied tritt er gerade mal die ein Meter fünfzig in den Lichtkegel vor das alte Standmikrophon. Als Variante erlaubt er sich nur, in der Pause den Smoking mit einem Frack zu vertauschen, während das Palastorchester-Dutzend jetzt weißen Smoking trägt.
Max Raabe ist das Gegenteil eines Conferenciers, weil er das Publikum nie anspricht. Selbst die Steilvorlage, dass sein Programm „Eine Nacht in Berlin“ heißt, er aber hier im rivalisierenden München auf der Bühne steht, bleibt ungenutzt.
Die geschniegelte Kunstfigur
Und so erleben wir Raabe genauso wie er immer ist: kaum „Variatio“, aber eben ganz so, wie wir ihn als hagere, geschniegelt-gescheitelte Kunstfigur kennen. Das ist natürlich wunderbar – mit seinen manchmal eingestreuten trockenen, kurzen Kommentaren: „Ich bin mit der Liebe durch, ich mach’s wie der Lurch“, der keinen Partner zur Fortpflanzung mehr benötige. Oder Raabe erklärt, dass die sonst so distinguierten Briten beim Thema Küssen dann doch nicht so zimperlich seien und ausgerechnet „Kiss my A...“ im Sprachgebrauch hätten, während unser Götz von Berlichingen zumindest den Kuss nicht in den Dreck ziehe.
Raabe macht das alles natürlich unnachahmlich trocken witzig. Und der Berliner Titel der Abende erklärt sich letztlich aus der Stücke-Auswahl: mit viel Musik von Robert Stolz, Friedrich Hollaender, oder den Comedian Harmonists – alles (Wahl)-Berliner. Und es ist vielleicht auch eine Hommage an diese liberalen, libertinären Künstler, dass der Abend in seiner Stückeauswahl auf deutschem Boden die Demarkationslinie von 1933 nie überschreitet. Und wenn Schlagertexte Zeitspiegel sind, dann müssen die großstädtischen 20er eben doch unfassbar witzig und – bei allem Stil – sehr frech und sexuell antibürgerlich gewesen sein, was wiederum einen originellen Kontrast schafft zum heute verbreiteten Neo-Biedermeier.
Damit das Publikum Raabe und sein Palastorchester nach gut zwei Stunden endlich in die Nacht entlässt, endet alles mit dem „Schlaflied“ von Raabe und Humpe – und hier schwebt ein Glühbirnen-Sternenhimmel von oben ein: Gute Nacht!, es war ein wunderbarer, musikalisch ausgefuchster, stilvoll stilisierter Abend!
Deutsches Theater, bis 28. Februar, 20 Uhr, sonntags 18 Uhr, 45 – 97 Euro, Telefon 54818181