Mahler Sechste unter Semyon Bychov

Vor allem laut: Semyon Bychkov dirigiert Mahlers Symphonie Nr. 6 im Gasteig
von  Robert Braunmüller

Im langsamen Satz von Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6 gibt es eine unvergessliche Stelle: Vier Flöten spielen eine helle, getragene, langgezogene Melodie, die von den Klarinetten eingefärbt wird. „Misterioso“ hat der Komponist die Passage überschrieben. Und das ist sie: ein Mysterium reiner, keuscher Schönheit.

Eigentlich sollte das leise gespielt werden. Mahler hat sich ein Pianissimo gewünscht. Man kann darüber streiten, wie laut ein Pianissimo im Gasteig sein darf und muss. Aber bei aller gebotenen Nachsicht: Leise spielten die Flötisten der Münchner Philharmoniker die Stelle am Donnerstag wirklich nicht. Man kann es drehen und wenden, es war ein Mezzoforte. Wunderschön, das schon. Ergreifend auch. Aber eben ohne jedes „Misterioso“.

Das kann passieren und könnte übergangen werden, wäre es nicht typisch für die ganze Aufführung gewesen. Semyon Bychkov verlangte vom Orchester leider keine Nuancen und Zwischentöne. Der Dirigent, dem vor einem Jahr eine lyrisch-warme Vierte von Brahms gelang, verwechselt Mahler offenbar mit dem Ironman für Symphonieorchester.

Bewundernswerte Kraft

Als athletische Leistung war die Aufführung eindrucksvoll. Donnern können die Philharmoniker. Rein konditionell gab es nicht den Hauch einer Schwäche. Die Horngruppe prunkte mit Kraft, die nimmermüden Posaunen dröhnten, die Trompeten bliesen, als gelte es den Gasteig vor Ablauf der Frist einzureißen.

Die Sechste mit ihren zwei Hammerschlägen im Finale ist gewiss kein Werk für zarte Seelen. Doch Bychkov konnte nicht deutlich machen, was ihn über die pure Kraftentfaltung hinaus an dieser Symphonie interessiert. Seine Deutung war ein einziger, donnernder Hammerschlag. Und das stumpft ab.

Alles wirkte ziemlich übersteuert. Es war kein Donnern, vor dem man sich fürchten musste. Und der Marsch des ersten Satzes führte auch nicht schnurstracks in den Weltuntergang. Der langsame Satz kam kaum zur Ruhe. Wünsche des Komponisten nach „Empfindung“ verhallten ungehört.

Einen Vorteil hatte es, immerhin: Das lästige hohe Pfeifen, das schon bei Gergievs Einstandskonzert im Mittelblock H störte, wurde meistens übertönt.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.