Mahler im Staatsoper-Livestream: Bildhafte Gestaltung
München - Normalerweise wird der Pianist, der bei einem Liederabend begleitet, von der Kritik nur nebenbei mit einer wohlwollenden Bemerkung bedacht. Gerold Huber kann man im vorliegenden Fall nicht so pauschal abspeisen. Denn bei dieser Aufführung des "Lieds von der Erde" von Gustav Mahler, die live aus der fast menschenleeren Staatsoper gesendet wird, ersetzt der gebürtige Straubinger im Alleingang ein mindestens 80-köpfiges Orchester.
Pianist Huber beweist besondere Ausdauer
Die Klavierfassung dieser Liedsymphonie, die der Komponist selbst erstellte, lotet die Möglichkeiten des Instruments extrem aus und ist mehr als ein bloßer Klavierauszug (den Mahler extra in Auftrag gab). Sie wurde erst 1989 von Wolfgang Sawallisch in Tokio uraufgeführt.
Gerold Huber gelingt es hier sogar, sie als eigenständige Version zu präsentieren. Nicht nur vermisst man das Orchester schlimmstenfalls momentweise, vor allem beweist Huber die physische, geistige und nicht zuletzt auch nervliche Ausdauer, diese einstündige Tour de Force durchzustehen.
Sänger Vogt erfreut mit leisen Tönen
Sänger waren natürlich auch dabei. Sie können hier vollkommen anders agieren als sonst, weil sie nicht durch ein massives Orchester bedrängt werden. Klaus Florian Vogt und Christian Gerhaher nutzen diese Chance äußerst unterschiedlich. Vogt erfreut mit leisen Tönen, wodurch die Textverständlichkeit gewinnt, er hat sowohl die Beweglichkeit als auch die strahlende Höhe für seinen Part.
Mögen muss man die Farbneutralität seines Tenors, die schon ab der Mittellage einsetzt, das stockgerade Artikulieren ganz vorne, bei dem seine Physis nicht beteiligt scheint - kurz, die Knabenhaftigkeit, mit der er treuherzig in die Kamera singt. Wenn es im Text heißt: "Dunkel ist das Leben, ist der Tod", und die stimmliche Tönung ist strahlend weiß, dann wirkt das fast komisch. Oder, um mit dem Philosophen Theodor W. Adorno zu sprechen: dialektisch.
Sänger Gerhaher: Jede Silbe mit Raffinement aufgeladen
Im krassen Gegenteil dazu schöpft Christian Gerhaher seine unvergleichliche Gestaltungskunst voll aus. Suggestiv schildert er, wie Huber gebürtiger Straubinger, die jungen Mädchen mit den schlanken Gliedern oder die atemlose Jagd, sodass man diese Bilder vor sich zu sehen glaubt. Das halbstündige Final-Tableau "Der Abschied" deklamiert er fast schon zu artifiziell, jeder Ton, jede Silbe sind mit Raffinement aufgeladen. Aber dann schwingt sich sein leicht ansprechender Bariton auf einmal zu einer zum Sterben schönen klagenden Linie empor.
Gerhaher geht, je länger der Abschied währt, immer entschlossener an Ausdrucksgrenzen. Den Abgesang spricht er tonlos, einfach, bevor sich ein letztes, existenziell glühendes Vibrato einstellt. Eine so höchst bewusste wie kompromisslose Intensität kann man nicht anders als groß nennen.
Auf staatsoper.tv ist das Video noch einen Monat für 9,90 Euro kostenpflichtig abrufbar.
- Themen:
- Christian Gerhaher
- Kultur
- Nationaltheater