Lucinda Williams im Werk7

Lucinda Williams zieht es offenkundig auf die Bühne. Erst vor einem Jahr trat sie im Technikum auf, nun kehrt sie auf ihrer Welttournee ins Münchner Werksviertel zurück, genauer gesagt ins Werk7 Theater. Das Kuriose ist nur: Da gibt's gar keine Bühne. Und so steht die legendäre Songwriterin im Saal des Musicalhauses, vor den Tribünen im Halbrund, von denen das Publikum auf sie herabschaut, und zwischen den beiden Eingangstüren.
Bei der Vorband L. A. Edwards, die eine Viertelstunde früher als angekündigt beginnt, führt das Setting noch zu komischen Szenen: Die Kalifornier spielen tapfer ihren schönen Westcoast-Rock, während die Zuschauer um sie herum nach ihren Plätzen suchen. Die haben sie dann gefunden, als Lucinda Williams durch die Eingangstür in den Saal und zum Mikro geführt wird. Die rund 700 Zuschauer sind dann beim Konzert hochdiszipliniert, ja andächtig, fast alle bleiben sitzen, doch wenn bei jemandem die Natur oder der Bierdurst ruft, führt der Weg eben unweigerlich wenige Meter an der Grande Dame des Americana vorbei.
Singen mit dem Teleprompter
Die nimmt das gelassen hin. Die 71-Jährige ist von einem Schlaganfall gezeichnet, steht in Chucks und Lederjacke meist reglos hinter dem Mikro, zu dem sie in sehr langsamen Schritten geführt wurde. Das Laufen hat sie nach dem Schicksalsschlag erst wieder lernen müssen, Gitarre spielen kann sie auf der Bühne nicht mehr, beim Singen richtet sie den Blick auf den Teleprompter, der zwischen ihr und der ersten Publikumsreihe steht.
Doch sie wirkt aufgeräumt und warmherzig, als sie zwei Stunden lang singend und erzählend auf ihr Leben blickt und auf die, die es geprägt haben. Auf ihren Vater, den Dichter Miller Williams, aus dessen Gedicht sie einen der schönsten Songs des Abends geformt hat ("Dust"). Auf einen Musiker, den sie als Kind auf den Straßen von Macon, Georgia, den "heiligen Blues" singen hörte ("Blind Pearly Brown"). Auf einen verstorbenen Ex-Partner, der soff und ständig Ärger machte und doch ein riesengroßes Herz hatte ("Lake Charles"). Auf ihren Freund Tom Petty, mit dem sie noch wenige Tage vor dessen Tod die Bühne geteilt hatte ("Stolen Moments").
Songs gaben ihm Halt
Und schließlich besingt sie auch den Song selbst, diese wunderbare Kunstform, die ihr im Leben immer wieder Halt gegeben habe. In der ersten Strophe von "Where The Song Will Find Me" findet sie ein Bild dafür, wie aus dem Leid das Lied entsteht: Mit dem Zug fährt sie durch den strömenden Regen und steigt an jeder einzelnen Haltestelle aus, auf dass der Song sie, seine Songwriterin, dort finden möge. Das hat in ihrem nicht einfachen Leben oft geklappt, zwanzig Beispiele gibt es an dem Abend im Werksviertel, und am besten klingen die ganz leisen und die wenigen lauten.
Zumal da der Hochkaräter am besten zur Geltung kommt, um den Williams ihre Band im Vergleich zum vergangenen Jahr verstärken konnte: Marc Ford, der in den Neunzigern als Leadgitarrist die Glanzzeit der Black Crowes prägte. Beim sanften "Blind Pearly Brown" schafft er an der akustischen Slide Guitar einen zauberhaften Sound, und seine knochentrocken klingende E-Gitarre sorgt für süffiges Southern-Rock-Feeling, mehrmals kriegt er Szenenapplaus.
Furioses Finale
Beim Cover von Memphis Minnies "You Can't Rule Me" haut er sich mit Gitarristen-Kollege Doug Pettibone die Riffs um die Ohren, und das abschließende "Joy" treiben die beiden mit zweistimmigen Linien samt kurzem Hendrix-Zwischenspiel zu einem furiosen Finale.
"You took my joy, I want it back", hatte Lucinda Williams zuvor zum stampfenden Beat gesungen, und als sie sich nun langsam dreht und ihren beiden Leadgitarristen zusieht, erkennt man die Freude in ihren leuchtenden Augen. Die große, vom Leben gezeichnete Songwriterin lässt sich nicht unterkriegen, ganz so wie sie es in der ersten Zugabe besungen hatte: Ein "Rock'n'Roll Heart" könne man nicht brechen. Dieses schöne Konzert ist der Beweis dafür.