Livestream aus dem Nationaltheater: Ein Hauch von Loriot

München - Die (kurze) Ouvertüre rauscht im Orchester, als wolle Franz Lehár seinem Kollegen Richard Strauss beweisen, wie Glanz und Schwung wirklich klingen müssten. Dann schlägt die Aufführung mühelos in Lakonie um, wenn ein bebrillter Herr mit allerhöchstem Ernst das blaublütige Personenverzeichnis der Operette "Schön ist die Welt" vorliest.
Operettenaufführung treibt dem Genre den spießigen Muff aus
Der Schauspieler Max Hopp hat auf der Bühne des Nationaltheaters nur noch ein Teeservice und ein paar Requisiten auf einem Tischchen neben sich. Er selbst trägt nicht mal einen standesgemäßen Frack. Das überlässt er dem Dirigenten Friedrich Haider und dem Bayerischen Staatsorchester hinter ihm. Mehr braucht es nicht für die bestgelaunte Operettenaufführung seit Menschengedenken, die dem Genre den spießigen Muff austreibt, ohne einen rechthaberischen Finger zu erheben.
Denn das Entscheidende bei einer Operette ist nicht die (billige) Opulenz, sondern die Persönlichkeit. Und die hat Hopp. Er führt als Conferéncier durch die ziemlich simple Geschichte, in der ein Prinz und eine Prinzessin verheiratet werden sollen, was dank wechselseitiger Liebe nach dem Abgang einer Lawine auch gelingt. Das macht er mit der Umständlichkeit eines hochfürstlichen Haushofmeisters, der zwischendrin (mit Monokel) auch einem König seinen "inneren Glanz verleiht", wie er es selbst zu nennen beliebt.
Einige Nummern haben eine lateinamerikanische Note
Das alles erinnert in der szenischen Einrichtung von Tobias Ribitzki ein wenig an Loriot, ohne eine Sekunde als Kopie zu wirken. Aber der trockene Humor ist ähnlich. Als Sahnehäubchen hat Hopp auch noch den Sprechgesang drauf, der für einige Nummern dieser 1930 in Berlin uraufgeführen Operette unerlässlich ist. Den übrigen Abend reizt Lehár seine Opernhaftigkeit aus und spielt gepflegt mit Jazz-Elementen. Weil rein zufällig im Berghotel auch eine brasilianische Sängerin auftaucht, haben einige Nummern auch noch eine lateinamerikanische Note.
Die Hauptrollen hat Lehár für Gitta Alpar und Richard Tauber operhaft geschrieben. Sie werden Julia Kleiter und Sebastian Kohlhepp würdig vergegenwärtigt, Juliana Zara (Opernstudio) und Manuel Günther (Ensemble) brillieren als komisches Paar, als gehöre die Operette im Nationaltheater zum Kerngeschäft.
Max Hopp als Conferéncier übernimmt auch das Radio
Das Herz der Aufführung blieb trotzdem der Conférencier. Im zweiten Akt liest er eine recht umständliche Anweisung aus der Partitur vor: Für eine Radiodurchsage müsse eine Schallplatte unter einer bestimmten Berliner Adresse angefordert werden. Die gibt's zwar 90 Jahre später noch, aber heute sind dort Startups eingezogen.
Hopp übernahm daher selbst das Radio, einschließlich der Störgeräusche, so wie er auch die Dialoge aller Geschlechter übernahm - ähnlich wie vor zwei Jahren in Barrie Koskys "Orphée aux enfers" bei den Salzburger Festspielen, wo der Berliner als John Styx alle Figuren live synchronisierte.
Die Erkenntnis: Man kann solche Operetten nicht vom Blatt spielen, muss sie aber auch nicht aufpeppen. Wenn man ihre ganze Prätention für voll nimmt, entsteht eine lässige Ironie, die den Charme der Zwanziger Jahre herbeizwingt.
Glücklicherweise bleibt diese wunderbare Aufführung noch 30 Tage online, für wohlfeile 9,90 Euro. Die gegenüber einer Theaterkarte eingesparte Summe könnte man für einen echten Champagner verwenden. Soviel Stil sollte sein!
Noch 30 Tage als Video-on-Demand auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper. Am Samstag streamt das Gärtnerplatztheater ab 19 Uhr auf seiner Homepage "Viktoria und ihr Husar" von Paul Abraham in einer Inszenierung von Josef E. Köpplinger.