Lionel Richie in der Olympiahalle: Schmusestern des Jahres
München - Für einen Moment öffnet Lionel Richie in der Olympiahalle tatsächlich die Aussicht, dass er jetzt den Weg geht, den viele Stars gegangen sind, um nicht zum alten Eisen zu zählen. Zunächst hört man nur seine Stimme: der Beginn von „Hello“ zur Begrüßung. Was sonst? Aber dann pumpt plötzlich ein Techno-Beat durch die Halle, und der mittlerweile 63 Lenze zählende Richie singt „All Around the World“ im Dance-Floor-Kleid, was das gut gefüllte Rund tanzen lässt und einen heutigen Ton setzt, der aber gleich im guten alten, dennoch frischen Schmuse-Soul von „Penny Lover“ untergeht.
Es bleibt dann doch über weite Strecken ein Konzert, in dem Saxofon-Soli und breite Synthesizer-Hooklines - bei „Dancing on the Ceiling“ wird einfach mal das Motiv aus Van Halens „Jump“ eingewoben - einen zurück in die Achtziger schleudern. Oder die Mundharmonika wird kurz ausgepackt, was nicht unbedingt erdigen Blues bringt, sondern sich in einen flotten, warmen RnB-Bandsound einfügt, der so kantenlos ist, dass man gar nicht glauben mag, dass alles live gespielt wird.
In seinem neuen, nach seiner Heimatstadt benannten Album „Tuskegee“ hat Richie seine Hits mit Größen der Country-Szene eingespielt. Von Country ist im Konzert jedoch wenig zu spüren. Und die Duett-Partner fehlen, was er smart für einen seiner vielen Flirts mit den Fans nutzt. Weil Diana Ross nicht kommen wollte, sollen ihn doch bitte die Ladies im Publikum bei „Endless Love“ unterstützen: „You’ll be Diana!“ Und wie er das macht, selbst singt und den bereitwillig einstimmenden Frauen ihren Text vorsagt, das ist schon eine gekonnte Lektion in Sachen Charme für die (mitgeschleppten?) Männer.
Ich bin der Star, das macht Richie in jeder Sekunde klar. Und ihr seid meine Stars. Richie und Band spielen alles, die Commodore-Hits, von „Easy“ bis zum funkigen „Brick House“, die Solo-Hits, von „Hello“ bis „Goodbye“. Gegen Ende steht er auf der Showtreppe hinten im roten Schal, ganz zuletzt im weißen Anzug vorne, und zwischendurch tänzelt er, macht Ausflüge zum Klavier, lässt seine Stimme samtig, dann kehlig klingen, raunzt, wie man es von den Platten kennt, die man schon in der Schulzeit aufgelegt hat, wenn der weibliche Besuch bereits von ein paar Gläschen Wein oder anderen Stoffen benebelt war.
Seine Reife hat Richie längst erreicht, und dass eines Tages etwas in Essig umschlägt, erscheint angesichts dieses viel umjubelten Konzerts mehr als unwahrscheinlich.
- Themen:
- Olympiahalle