Kritik

Lang Lang und falscher Alarm

Der chinesische Pianist spielt in der Isarphilharmonie Schumann und Chopin- und wird durch ein technisches Versehen unsanft unterbrochen
Michael Bastian Weiß |
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Es gibt akustische Ereignisse, die im Konzertsaal noch stärker auf das zentrale Nervensystem wirken als Handy-Klingeltöne. Ein Feueralarm zum Beispiel. Lang Lang steckt ungefähr in der Mitte der Polonaise fis-moll von Frédéric Chopin, die seinen Klavierabend beschließen soll, da gellt eine elektronische Sirene los, verbunden mit der Anweisung zur Räumung des Saals.

Das Publikum leistet der Aufforderung Folge, ruhiger und disziplinierter als es auf den engen Gängen und Treppen der Isarphilharmonie eigentlich möglich scheint.

Lang Lang ist nervöser als das Publikum

Der Pianist auf der Bühne wirkt vergleichsweise fast aufgeregter. Draußen sammeln sich die Herrschaften und können beobachten, wie ein paar Feuerwehrmänner die Halle durch einen Seiteneingang betreten und nach dem Rechten sehen. Schließlich wird Entwarnung gegeben.

Damit ist der Abend aber noch nicht zu Ende. Denn Lang Lang macht gute Miene zum falschen Alarm und spielt der ausgedünnten Hörerschaft, die in den Saal zurückgekehrt ist, die Polonaise noch einmal von vorne vor, gibt sogar noch zwei Zugaben - und lässt es sich nicht nehmen, zu guter Letzt noch viele Hände seiner Fans zu schütteln und für Selfies zu posieren. Das ist typisch für den chinesischen Pianisten, der in seinem Heimatland eine Popularität genießt, von der hiesige Künstler nur träumen können: Er behauptet nicht nur, sein Publikum zu lieben, sondern zeigt sich auch im Ausnahmefall nahbar, buchstäblich ohne Berührungsängste.

Angesichts dieser sympathischen Attitüde und der allgemeinen Aufregung überhaupt fühlt es sich kleinlich an, dieses so dramatisch zu Ende gegangene Konzert einer strengen Kritik zu unterziehen. Man könnte darauf verweisen, dass Lang Lang die "Kreisleriana" von Robert Schumann sehr persönlich interpretiert und nicht jede der vielen plötzlichen Verlangsamungen und Beschleunigungen aus der Logik der Komposition heraus motiviert sind oder auch nur in den Noten stehen.

In der "Pavane" fis-moll von Gabriel Fauré, die hier in der seltenen Klavierfassung erklingt, irritiert ein wenig, wie empfindelnd, ja kitschig Lang Lang die heimsuchende Melodie behandelt. Und die 12 Mazurken von Frédéric Chopin, die er für dieses Programm ausgewählt hat, erscheinen einander ähnlicher, als sie es tatsächlich sind, weil rhythmische Widerspenstigkeiten durchgehend eingeebnet werden und zu viel an Linie und Harmonik im Dauerpedal ertrinkt.

Nähe zum auffallend jungen Publikum

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Lang Langs Sinn für pianistische Show mag nicht zu jedem Werk passen, doch die schauspielerische Begabung, mit der er besonders schöne Stellen mimisch und gestisch hervorhebt, erleichtert auch Hörerinnen und Hörern den Zugang zur klassischen Musik, die nicht schon über jahrzehntelange Konzerterfahrung verfügen.

Nicht zuletzt deshalb sieht man an diesem Abend auch auffallend viele junge Gesichter im Publikum. Vielleicht sollte man Lang Lang nicht bloß als Virtuosen begreifen, sondern als eine Art einsam erfolgr eichen Musikpädagogen.

Unermüdlich folgt er seiner Mission, möglichst viele Menschen für Schumann und Chopin zu begeistern - und lässt sich davon auch von so profanen Dingen wie einem Feueralarm nicht abhalten.

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