Kritik

Lang Lang im Herkulessaal: Melancholie vor der Pause

Lang Lang mit Schumann und Bachs Goldberg-Variationen im Herkulessaal.
von  Michael Bastian Weiß
Lang Lang - hier vor einigen Jahren im Aquarium von Valencia.
Lang Lang - hier vor einigen Jahren im Aquarium von Valencia. © picture alliance / Manuel Bruque/EFE/dpa

München - Man trifft ungewöhnlich viele Bekannte aus dem Musikleben an diesem Abend im proppenvollen Herkulessaal. Beim kurzen Austausch gibt es jeweils nur ein Thema, die dramatische pandemische Lage natürlich, und ständig wird gesagt: Ich will noch einmal Musik hören, solange es noch geht.

Persönliche Note: Lang Lang lässt ganze Phrasen im Pedal verschwimmen

Auch Lang Lang spricht nach seinem Solo-Rezital, bevor er ein rachmaninowesk aufrauschendes chinesisches Lied als Zugabe spielt, die aktuelle Situation an - mit sichtlicher Bewegung, die bei einem sonst stets gut gelaunten Showman wie ihm umso anrührender wirkt.

Vielleicht ist diese allseits zu spürende melancholische Stimmung nicht ganz unschuldig daran, wenn Lang Lang die "Arabeske" C-Dur von Robert Schumann schwer mit Gefühligkeit tränkt, ein wenig mehr, als es das diskrete Stück eigentlich verträgt. Auf seinem Hocker weit zurückgelehnt, den Blick visionär in die Ferne gerichtet, halbiert der Pianist bei jeder empfindsamen Wendung das Tempo, setzt willkürliche Akzente, lässt ganze Phrasen im Pedal verschwimmen. Das alles ist sehr persönlich, okay, aber Schumanns liedhafte Natürlichkeit geht flöten.

Lang Lang und die Goldberg-Variationen: Stupende Virtuosität bricht sich Bahn

Im Gegensatz dazu beugt sich Lang Lang dann beim Vortrag der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach untypisch tief auf die Tasten des Steinways: Er hört gleichsam stärker auf die Wunder, die der Komponist da zu Papier gebracht hat, als sie mit großer Geste nach Außen zu holen. Meistens jedenfalls. Oder sagen wir besser: oft. Denn bei den vertrackten Einzelsätzen, die bei Pianisten wie Cembalisten gefürchtet sind, weil man so leicht danebenhaut, bricht sich dann doch die stupende Virtuosität Bahn.

Es macht Spaß zu hören wie auch zu sehen, wie Lang Lang schwerelos zwischen hohen und tiefen Tasten hin- und her hüpft und dabei die Arme überkreuzt, ohne sie zu verknoten. Und auch ein exzentrisch gestalteter Schlusstriller, mit den Fingern beider Hände in den Flügel gehämmert, kann nur Lang Lang einfallen.

Adagio-Variation: Lang Lang so nachdenklich wie nie

Gerade in den drei Variationen in Moll aber versagt sich der chinesische Pianist alle Affektiertheit. Einmal verbreitet sich ein unheimliches, romantisches Zwielicht, einmal hört man von Ferne den Klagegestus der großen Passionen Bachs herüberhallen.

In die große Adagio-Variation versenkt sich Lang Lang schließlich meditativ für eine gefühlte Ewigkeit, als wolle er nie wieder an die Oberfläche zurückkommen. Zwar taucht er letztlich wieder auf, doch im Gedächtnis bleibt im Ganzen eine Nachdenklichkeit, die man bei diesem Musiker in dieser Tiefe noch nicht vernommen hat.

Die Goldberg-Variationen hat Lang Lang letztes Jahr in gleich zwei Versionen auf CD herausgebracht (DG)

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