Kurt Masur: Wie Riesling
Das getragene „Adagio molto e cantabile” in Beethovens Neunter hat es nicht leicht: Chor und Solisten scharren beim dritten Satz schon mit den Füßen, das Publikum wartet auf das Finale mit dem Götterfunken.
Kurt Masur – in seinem Zyklus eigentlich der altersweise Spezialist für ruhig ausmusiziert langsame Sätze – nahm das Adagio so ungeduldig, wie es die Anhänger der historisierenden Spielweise zu tun pflegen. Der mehrfache Tempo- und Taktwechsel zwischendrin wirkte verwischt: Masur betonte die Einheit des Satzes, in dem die Bläser der Dresdener Philharmonie leider ein wenig übersteuert wirkten.
Dann aber traf Masur großartig das Hektische, Ausbrechende und Maßlose des Freudenfinales mit dem von Andreas Herrmann einstudierten Philharmonischen Chor. Die Solisten Christiane Libor, Birgit Remmert, Hanno Müller-Brachmann hielten sich gut, nur Pavol Breslik war etwas zu lyrisch für den Schluss seines Siegesgesangs. Wie schon im ersten Satz beeindruckte der Wechsel aus Zurücknahme und Steigerung, der in den letzten Takten eine wilde Ekstase streifte, die auf eine letzte Genauigkeit zwar keine Rücksicht nahm, aber durch Wucht beeindruckte.
Bei der Achten nahm im langsamen Satz die Gelöstheit und das befreite Spiel der Bläser-Solisten für sich ein. Beethovens Brio blieb gelassen wie am ersten Abend. Der geistreiche Witz dieser Symphonie sprudelte nicht wie Champagner, sondern erinnerte eher an tiefsinnige Gespräche bei einer Riesling-Spätlese. Aber diese ungewöhnliche Sicht überzeugte durch Konsequenz. Und: Diesem Dirigenten im Spätherbst seiner Karriere noch einmal zuhören zu dürfen, wie er die Summe seiner Beethoven-Erfahrung zieht, war ein Erlebnis, das noch lange nachhallen wird.
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