Kultur-Kürzungen in Birmingham

Die Nachricht hatte Sprengkraft. Am 21. Februar wurde vermeldet, dass der Stadtrat von Birmingham, eine Großstadt im Mittelwesten Englands, seine Zuschüsse für Kunst und Kultur drastisch kürzen werde: noch in diesem Jahr um 50 Prozent, im nächsten Jahr um 100 Prozent.
Von diesen Maßnahmen ist auch das "City of Birmingham Symphony Orchestra" (CBSO) betroffen, das vor 30 Jahren unter Simon Rattle in die Spitzenliga aufstieg und sich seither dort gehalten hat. "Birmingham kappt seine Verbindung zum CBSO", titelte ein Musik-Blog.
Derzeit befindet sich das Orchester mit seinem in Berlin lebenden Chefdirigenten Yamada Kazuki auf einer Europatournee, die es am 10. März nach München in die Isarphilharmonie führt. Auf dem Programm steht neben Edward Elgars "Enigma-Variationen" auch Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 mit der Pianistin Alice Sara Ott.
Die Krise als Chance
"Diese Nachricht war natürlich schockierend für das Orchester und sein Publikum", so Kazuki. "Das CBSO hat jedoch unglaublich viel positive Energie. Als diese Nachricht bekannt gegeben wurde, haben das CBSO und ich einige Konzerte gegeben, und diese waren erfüllt von einer einzigartigen Strahlkraft und Freude." Er glaube, so Kazuki weiter, dass das Orchester die Macht besitze, "eine Krise in eine große Chance zu verwandeln".
Der Optimismus ist berechtigt. Denn laut Emma Stenning, der Geschäftsführerin des Klangkörpers, machen die öffentlichen Zuschüsse nur rund sechs Prozent des Gesamtbudgets aus. Der überwiegende Teil speise sich aus privaten Fördermitteln, Spenden und dem Kartenverkauf. Die Nachricht von den Kürzungen kam überdies nicht überraschend, denn bereits 2023 musste Birmingham Insolvenz anmelden.
Die zweitgrößte Metropole Großbritanniens hat den Wandel von einem weltweit bedeutenden Industriestandort zu einem Dienstleistungszentrum nur bedingt geschafft. Der Brexit hat es nicht gerade einfacher gemacht. Die Brisanz der öffentlichen Mittelkürzungen für das CBSO ist vor allem symbolisch zu verstehen. Immerhin hatte die Stadt selber das Orchester 1920 gegründet.
Wo Simon Rattle durchstartete
Seitdem avancierte der Klangkörper zu einer lebendigen, aufregenden Werkstatt im internationalen Orchesterleben. Viele Persönlichkeiten starteten hier ihre Weltkarrieren, darunter Simon Rattle, heute Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. "Als Empfänger jährlicher Mittel des Stadtrats von Birmingham seit 104 Jahren ist diese Mittelkürzung für das CBSO natürlich besorgniserregend", betont denn auch Stenning. "Wir teilen die Sorgen um die Auswirkungen, die die Haushaltspläne des Stadtrats für diejenigen haben werden, die in Birmingham leben und arbeiten."
Stenning sagt damit im Grunde auch, dass der Konkurs Birminghams eine gesamtstädtische Bankrott-Erklärung ist: wenn nicht gar eine nationale. Für das CBSO brach die Meldung indes zu einem ungünstigen Zeitpunkt herein, nämlich kurz vor der Fortsetzung der großen Europa-Tournee. Noch dazu ist im Frühjahr 2023 eigentlich eine neue, spannende Ära angebrochen, als Kazuki sein Amt beim CBSO als Musikdirektor antrat: Er ist Nachfolger von Mirga Gražinyte-Tyla. In derselben Funktion wirkt er seit sieben Jahren zudem beim Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo am Mittelmeer.
Atmen mit dem Orchester
Für Joanna Patton ist Kazuki ein Glücksfall. "Er baut eine direkte, persönliche Verbindung zu uns auf, umarmt uns als Orchester", so die Klarinettistin, "Er insistiert nicht, sondern lädt ein, wird selber Teil einer Sache, die größer ist." Kazuki kommt aus der großen Chor-Tradition Japans, hatte einst in Tokio den Philharmonischen Chor geleitet. Auch beim Gastspiel des CBSO in der Stuttgarter Liederhalle im Oktober 2023 war ein Kommunikator am Pult zu erleben, der mit dem Orchester buchstäblich atmet.
"Er arbeitet sehr gut mit Stimmen und Chor", bestätigt CBSO-Chorleiter Simon Halsey. "Ich vertraue ihm total, und so ergeht es dem Chor insgesamt." Diese Kenntnisse versteht der 1979 in Kanagawa geborene Kazuki für das Orchester zu nutzen. Gleichzeitig kennt Kazuki keinerlei Berührungsängste. Im Repertoire ist er breit aufgestellt, vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik.
Er leitet auch selber Musikvermittlungs-Projekte, möchte tief in die soziale Diversität der Stadt-Gemeinschaft wirken. Ein solches Profil ist jetzt gefordert. Stenning spricht von einer "neuen Vision", die das CBSO als Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen erschaffe. "Wir beginnen mit einem fortlaufenden Erkundungsprozess, um einen neuen Ansatz zu verfolgen, der sicherstellt, dass das CBSO auch in den kommenden Jahren relevant und nachhaltig bleibt."
Über neue Formen von Orchestern nachdenken
Kazuki sieht die Sache japanisch entspannt. "Im Laufe der über 100-jährigen Geschichte des Orchesters haben wir einen einzigartigen Sinn für Kreativität in unsere DNA eingepflanzt", sagt er auf Nachfrage. "Auch in diesem Fall glaube ich, dass wir über einen längeren Zeitraum hinweg über einen neuen Orchestertyp nachdenken müssen und nicht nur darüber, das Defizit im Budget auszugleichen."
Der Dirigent hält kulturelle Bildung für eine zentrale Aufgabe seines Orchesters. "Das CBSO wird niemals mit dieser Kultivierung aufhören. Und wir haben unsere Entschlossenheit erneuert, immer die beste Musik und Atmosphäre auf fröhliche, unterhaltsame und positive Weise zu teilen." Von dieser Energie kann man sich am Sonntag in München ein Bild machen. Das Desaster in Birmingham wiederum sollte für Deutschland und Bayern eine Warnung sein.
Isarphilharmonie, Sonntag, 10. März, 20 Uhr. Karten unter Telefon 90 60 93, muenchenmusik.de und bei muenchenticket