Krokodilsfütterung statt Bedeutung

Der „Ring” in Bayreuth: Ein ziemlich vergagter, aber musikalisch grandioser „Siegfried”
von  Robert Braunmüller

Wer in gerader Richtung durch die Welt marschiert, gelangt zum Ausgangspunkt zurück. Diese Erfahrung macht Siegfried in Frank Castorfs „Ring”-Inszenierung: Er verlässt am Ende des ersten Aufzug die Gegend um den Mount Rushmore und steht am Beginn des zweiten wieder vor den Köpfen von Marx, Lenin, Stalin und Mao.

Durch ein (Zeit?)-Loch im Berg gelangt er später auf den Berliner Alexanderplatz, den der Bühnenbildner Aleksandar Denic mit großer Liebe zu DDR-Mülleimern, einem DDR-Briefkasten und der mit Spitzenvorhängen getarnten Leere im Schaufenster eines DDR-Delikatladens auf die Drehbühne des Festspielhauses gewuchtet hat. Das (angeblich) „Ring”-leitende Thema Öl war nur durch eine Leuchtreklame der DDR-Benzinmarke „Minol” gegenwärtig.

Fafner (Sorin Coliban) hatte sich in die DDR-Post zurückgezogen. Wie alle Inhaber des Rings musste er zwar der Liebe abschwören, doch nicht der Lust: Er verabschiedete kurz vor seinem Tod im Feuer von Siegfrieds Kalaschnikow noch ein paar Ostnutten. Auch hatte der bei Wagner jungfräuliche Siegfried bereits vom Waldvogel (Mirella Hagen im Kostüm einer Sambatänzerin aus Rio) gekostet, ehe er zu Brünnhilde hinaufstieg.

Oft blöd, aber befreiend

Dergleichen ist teilweise widersinnig, oft blöd, aber auch befreiend, wenn einem die Wagner-Bedeutungshuberei auf den Keks geht. Und wer – wie viele Festspielbesucher – heute noch von Harry Kupfers „Ring” schwärmt, dem sei gesagt: Mit dem Konzept-Theater alter Schule lässt sich der Opernvierteiler heute nicht mehr zusammenzwingen.

Mit ein paar Castorf-Aufführungen hinter sich konnte man durchaus seinen Spaß haben: Erda versucht Wotan erst mit dem Wechsel auf eine blonde Perücke zu halten, ehe sie ihm an die Hose geht. Da kommt der früher bereits als Bär tätige Kellner mit der Rechnung für den reichlich konsumierten Rotwein. Der Göttervater drückt das Papier der verdutzten Ex in die Hand und sucht das Weite.

Kurz vor Schluss erschienen zwei Krokodile: Der furchtlose Held füttert das größere erst mit einem Sonnenschirm, dann mit Brotresten und befreite eine fast schon verdaute Blondine aus dem Rachen. Die Wagnerianer ließen sich provozieren und buhten den unsichtbaren Regisseur aus, der sich erst nach der „Götterdämmerung” zeigen wird.

Ryan - der beste Siegfried seit Jahren

Dafür erbebten die Fundamente des Festspielhauses, als Kirill Petrenko erschien, um den Applaus ans Orchester weiterzugeben. Wiederum erstaunte sein Klangsinn, die zarten, sehr lyrischen Farben im Waldweben und die unglaubliche Kraft des Orchesters in der Sturmmusik am Beginn des dritten Aufzugs. Die Heiterkeit der Musik funktionierte so selbstverständlich wie die Verdichtung der Motive zu Pathosformeln ab dem Beginn des dritten Aufzugs.

Catherine Foster ließ Brünnhilde strahlend erwachen. Sie sang das heikle „Ewig war ich” angemessen lyrisch und trompetete anschließend stählern. Der unverwüstliche Lance Ryan konnte da mühelos mithalten. Nach den fulminanten Schmiedeliedern gab es immer mal matter gestaltete Passagen, in denen sich der krähende Anteil an seinem Timbre störend bemerkbar machte. Aber er bleibt der beste Siegfried seit Jahren.

Martin Winklers metallischer Schwarz-Alberich und der opulentere Heldenbariton von Wolfgang Koch als Licht-Alberich Wotan waren im Mittelakt wie zwei Seiten einer Medaille. Die Bayreuther Festspiele haben auch die lange vermisste tiefe Mezzosopranistin für die Erda gefunden (Nadine Weißmann). Und weil die Aufführung musikalisch stimmt, stört auch der Regiequatsch nicht wirklich. 

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