Kritik zum Konzert von Iron Maiden in München: Plötzlich wird es in der Olympiahalle stockdunkel

Der blonde Mann zog die schwere Eisentüre der Halle auf. Geruch von Schwefel und Heimaterde stieg ihm in die Nase, er versuchte, ruhig und flach zu atmen, denn er brauchte seine volle Konzentration. Der helle Gegenstand in seiner Hand würde ihn schützen.
Er stand nun im Saal. Fahles Licht erleuchtete sein Antlitz, seine Augen verkleinerten sich zu listigen, suchenden Schlitzen. Er hörte Kinder weinen und eine große aufgebrachte Meute fauchen und bellen. Da sah er das Monster!
Es stand auf einer Empore und fletschte die spitzen Zähne, sein Gewand war zerschlissen und im Brustbereich transparent. Die trüben Facettenaugen starrten die grölende Masse an wie eine Libelle. Neben dem Ungetüm befanden sich ein stämmiges, furchteinflößendes, zotteliges Wesen mit einer eisernen Flinte, neben ihm ein sechsarmiger Dämon mit drei gitarrenähnlichen Gebilden, und, das war das unheimlichste: hinter einer Reihe von trommelartigen Objekten hatte sich ein riesenhafter Oktopus mit Stöcken niedergelassen. Unheilschwangere Geräusche erklangen.
Der blonde Mann wurde von niemandem aus dem Volke bemerkt. Er tat einen Schritt nach vorne, dann erhob er den Gegenstand in seiner Hand und drückte auf den erlösenden Auslöser. Grelles Licht schoss hervor. Der blonde Mann war kein Geisterjäger, kein Exorzist. Nein, er war ein Sicherheitsmann in der Münchner Olympiahalle während des Konzertes der britischen Grusel-Rockband Iron Maiden.
Lächelnd leuchtete er einem Mann, der ein T-Shirt trug, auf dem ein Mensch in einem aus eruptierendem Magma bestehenden Lavafluss ertrank, an und sagte: "Bitte hinter die weiße Absperrlinie treten."
Iron Maiden bei Auftritt in München: Fans wie hypnotisiert
Das Monster auf der Empore fasste sich an die Schläfen. Sein Haar war zu einem Zopf nach hinten gebunden. Routiniert ergriff er den Rand seiner Facettenaugen und riss sie mit einer raschen, gefährlichen Bewegung herunter. Die tobende Schar erschrak! Doch dann bemerkten sie, dass es sich um eine Sonnenbrille handelte.
Das Monster rief: "Can you hear me, Munich?" Wie hypnotisiert antwortete das Volk: "Yeah!" Auf einem Monitor blitzte das Bild einer asiatischen Flaniermeile auf. Nun erkannten alle, dass es sich bei dem Monster um den Frontmann Bruce Dickinson handelte, dessen glasklare Stimme direkt in die Seelen der Besucher traf.
Der Oktopus war in Wahrheit der gutmütige Drummer Nicko McBrain, der Sechsarmige entpuppte sich als die drei Gitarrenspieler Adrian, Dave und Janick – und das zottelige Wesen war in Wahrheit niemand geringeres als das bass-spielende Gründungsmitglied Steve Harris, der einst die Band durch das Betrachten eines Horrorfilmes inspiriert nach dem Folterinstrument "Eiserne Jungfrau" benannte.

Iron Maiden in München: Bruce Dickinson richtet emotionale Worte an das Münchner Publikum
Jetzt, nachdem er die Augengläser abgenommen hat, wirkt Bruce ganz und gar nicht mehr gruslig, sondern versöhnlich und väterlich. Er spricht von unserer Aufgabe als humane Wesen gegenüber unserer Mitmenschen, von bayerischen Würsten und allen möglichen Biersorten, die er in den letzten Stunden seines Aufenthalts in der Weltstadt mit Herz in großen Mengen verzehrt hat.
Plötzlich wird die Bühne für einen Augenblick stockdunkel. Auf der Leinwand erscheint ein Ausschnitt aus der 1960er-Kultserie "Nummer 6" von Patrick McGoohan, der persönlich die Hauptrolle spielte und nun über den Köpfen von Iron Maiden sagt: "Ich bin keine Nummer, ich bin ein freier Mann." Und schon folgt der dazugehörige Song The Prisoner. Bruce singt höchst melodisch: "Ich bin auf der Flucht, ich töte, um zu essen. Ich gehe den ganzen Weg, ich bin eine Bestie der Natur. Ich weiß, wohin ich gehe. Wenn du mich tötest, ist das Selbstverteidigung. Wenn ich dich töte, dann nenne ich es Rache. Mein Blut gehört jetzt mir, die Vergangenheit ist mir wurscht."
Lebende Bühnendeko bei Iron-Maiden-Konzert in der Olympiahalle
Die Bühnendekoration erinnert an eine überdimensionale schwarze Version der Augsburger Puppenkiste, in regelmäßigen Abständen werden Gegenstände mit schwarzem Molton ab- und aufgedeckt, manchmal spazieren verkleidete Abgesandte der Hölle in langen Ledermänteln und tief ins Gesicht gezogenen Hüten durch die Musizierenden hindurch.
Das Konzept des Abends ist perfekt auf die Fans abgestimmt, Songs aus fast fünfzig Jahren Bandgeschichte werden in zufriedenstellender Reihenfolge und mit wirklich großartigem Sound dargeboten, während die Damen und Herren, die an den zahlreichen Bars tätig sind, Plastikbecher, die mit den berühmtesten Albumcovern bedruckt sind, mit Bier, Hugo, Bellini und – so ist es auf laminierten Preistafeln angepriesen: "Alkoholfreie Weinschorle für unsere Fahrer – NUR FÜR KURZE ZEIT" füllen. Am Merch-Stand gibt es Schlüsselanhänger und mit einäugigen Zombies bedruckte Turnbeutel.
Und während der Regen das Wacken-Gelände im Norden der Republik nicht mehr befahrbar macht, genießen tausende Rockfans einen Abend voller Totenschädel, Schwerter, Geister, Dämonen und einer gutgelaunten, rüstigen Combo, fetten Bässen und zahlreichen nostalgischen Ausflügen quer durchs Portfolio von Iron Maiden.
Noch einmal geistert der blonde Mann mit der Taschenlampe durch den Raum. Diesmal schreitet er auf eine Dame zu, die in einem Bauchladen Kaltgetränke feilbietet. Er leuchtet sie an und sagt: "Auch für Mitarbeiter gilt: die weiße Linie nicht überschreiten."