"Krieg und Frieden" an der Bayerischen Staatsoper

"Krieg und Frieden" an der Bayerischen Staatsoper: Unter Regie von Dmitri Tcherniakov kommt am Sonntagabend in München ein schwieriges Werk zur Aufführung.
von  AZ/dpa

Die Oper von Sergej Prokofjew beruht auf dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi und spielt im Jahr 1812 zu Zeiten Napoleons, der in Russland einmarschiert. Ein Stück voll stalinistischer Propaganda, mit Lobes- und Heldenhymnen auf das russische Militär und die heilige Mutter Russland, mit einer Premiere ausgerechnet am 70. Todestag von Prokofjew und Stalin, die beide am 5. März 1953 starben. Darf man so etwas spielen, in Zeiten des Angriffs Russlands auf die Ukraine?

"Das wird bei uns in dieser Inszenierung so ausgelegt, dass man sich für Prokofjew nicht zu schämen braucht", versichert der Münchner Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski. "Prokofjew wird dadurch nolens volens zu einem gesellschafts- und systemkritischen Komponisten, was er nie war." Ein Kostümstück mit detailgetreuer Nacherzählung der Geschichte von 1812 erwartet die Zuschauer nicht - es sei die Sicht von heute, verrät der Dirigent, der auch bei "Krieg und Frieden" am Pult stehen wird. Auch unterschiedliche Nationen gebe es keine. "Das Stück wird aus der Perspektive einer einzigen Gesellschaft, einer Nation, einer menschlichen Gemeinschaft erzählt. Feinde, wenn es welche gibt, werden innerhalb dieser Gesellschaft gefunden oder erfunden. Es gibt keinen Feind von außen."

Propagandataugliche Symbolik

Und doch gibt Jurowski zu: "Es kann zu Missverständnissen kommen, weil bei uns die Symbolik teilweise eingesetzt wird, die auch im heutigen Russland sehr propagandatauglich ist. Aber es kommt darauf an, mit welchen Vorzeichen das benutzt wird." Das sei Theater, "das ist eine Kunst, die mit Bildmetaphern umgeht". Ob die Oper das alles den Zuschauern so klar macht? "Sie erfordert natürlich sehr viel Mitdenken", gibt Jurowski zu. Sie sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Anbiederung an Russland oder gar dessen Präsidenten Wladimir Putin kann man Jurowski nicht vorwerfen, der in Moskau geboren wurde und 1990 die damalige Sowjetunion verließ. Nicht nur, dass er gerne einen gelb-blauen Ukraine-Anstecker mit einer Friedenstaube am Revers trägt. Nach dem Einmarsch der Russen in das Nachbarland ließ er schon mehrere Male bei Konzerten die Nationalhymne der Ukraine spielen.

Tcherniakov: Ummünzen wäre "zynisch"

Warum dann nicht "Krieg und Frieden" ummünzen und die Geschehnisse in der Ukraine auf die Bühne holen? "Es wäre falsch, den zu zeigen. Wahrscheinlich sogar zynisch", sagte der russische Regisseur Tcherniakov unlängst der "Süddeutschen Zeitung". "Wir versuchen, sehr sensibel an dieses Thema heranzugehen. Aber selbstverständlich hat es damit zu tun." Die stalinistische Propaganda im zweiten Teil der Oper wurde ohnehin entschärft. Man habe einiges gestrichen und geändert, erklärte Tcherniakov, der mit einer internationalen Besetzung arbeitete. "Wir haben zwölf oder 13 Nationalitäten versammelt, alle aus ehemaligen Ländern der Sowjetunion, aus der Ukraine, Weißrussland, Armenien, Litauen, Usbekistan..."

Schwierigkeiten gab es nach Angaben des Regisseurs bei den Proben keine. "Die Art, wie wir uns alle einig sind, führt zu einer fast utopischen Situation hier", schilderte er in der "Süddeutschen Zeitung" weiter. "Wir halten uns alle an den Händen, sitzen in einem Boot und machen mit großem Enthusiasmus eine Sache zusammen. Was hier entsteht, ist die Utopie einer Gemeinschaft, die im echten Leben vielleicht gar keine ist."

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