Konstantin Wecker - der Überzeugungssänger

Konstantin Wecker hat mit „Ohne Warum“ ein neues, sehr politisches Album aufgenommen und spielt im Juni auf dem Tollwood-Festival
Volker Isfort |
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Seit vier Jahrzehnten bringt der Münchner Liedermacher seine Botschaften unter die Menschen: „40 Jahre Wahnsinn“ nennt Konstantin Wecker daher seine Jubiläumstour. Auf seinem neuen Album „Ohne Warum“ präsentiert sich der 68-jährige Liedermacher politischer und zorniger denn je.

AZ: Herr Wecker, Sie haben im vergangenen Jahr bei einer Münchner Kundgebung gegen TTIP mitgemacht. Es kamen 300 Demonstranten. Ein Jahr später waren es am selben Ort schon 20 000.

KONSTANTIN WECKER: Motivierbar sind die Leute also schon. Das ist grandios, aber man sieht daran auch deutlich, wie wichtig es ist, die Menschen aufzuklären. Viele Leute sind willig, aber oft nicht informiert genug über die wirklichen Zusammenhänge.

Aber wir haben doch eine funktionierende Medienlandschaft.

Wir wissen alle, dass durch die Rationalisierung in den Medien, die Arbeit der Journalisten sehr viel schwieriger geworden ist. Weniger Redakteure, weniger Zeit für Recherche. Die Thinktanks und PR-Agenturen haben viel größere Ressourcen und beliefern die Medien mit Artikeln, die auf den ersten Blick vielleicht nicht einmal unvernünftig wirken. Jetzt endlich spürt man den Umschwung bei den Journalisten, wenn sie über TTIP schreiben, aber dabei spielt sicher auch ein aufklärerisches Buch wie Thilo Bodes „Die TTIP-Lüge“ eine große Rolle.

Wie erklären Sie sich eigentlich, dass wir Politiker haben, die so massiv an der Aushöhlung der Demokratie mitwirken wollen? Das hätte man doch ursprünglich zumindest von der SPD nicht erwartet?

Was ich momentan bei der Führung der SPD erlebe, ist für mich erschreckend. Ich meine jetzt nicht die regionalen Basisarbeiter, die oft ernsthafte, gute Arbeit machen. Aber der Wille zum Machterhalt in der Berliner Politik verhindert meiner Meinung nach, dass wir an den oberen Stellen Menschen vorfinden, die noch eine Ausstrahlung haben wie beispielsweise Willy Brandt. Der war sicher kein perfekter Mensch, aber einer, bei dem man noch ein politisches Ideal hinter seinem Denken vermuten konnte. Diesen Typus Politiker gibt es nicht mehr. Die Politiker haben sich von ihren Wählern entfernt. Es gibt nur noch Pragmatiker und – was ich Frau Merkel ganz besonders übel nehme – Politiker, die ihr Tun für alternativlos erklären.

Sie besingen das abgewrackt, korrupte System in ihrem Lied „Revolution“.

Ich bin nun mal ein Alt-68er und muss ganz klar erkennen: Die Konterrevolution in Form des Neoliberalismus hat gesiegt. Also müssen wir zurückschlagen. Ich biete mich gerne als Revolutionär an, aber nur in dem Sinn, wie ich es im Lied auch besinge: ohne Führer, ohne Gewalt, mit einem anderen Bewusstsein. Es geht mir in meiner Kritik vor allem um eine System, dass anscheinend alles andere auffrisst. Ich glaube nicht, dass einer dieser Politiker persönlich dafür ist, dass die Wirtschaft jetzt noch mächtiger wird, aber jeder macht als Rädchen dabei mit. Darum meine Forderung nach Schulen des Ungehorsam. Denn der Gehorsam ist die größte Gefahr für die Demokratie. Und natürlich die Ungleichheit.

Statistiken besagen, dass ein Prozent der Menschheit so viel besitzt wie die restlichen 99 Prozent.

Was soll man dazu sagen? Das System hat versagt. Es werden uns wahrscheinlich, wenn die Entwicklung so weiter geht, in zwei Jahrzehnten vielleicht 20 globale Konzerne regieren. Sechs oder sieben Lebensmittelkonzerne füllen jetzt schon nahezu alle Supermärkte in der Welt. Früher hat man dem Kommunismus vorgeworfen, es gäbe ja keine Vielfalt. Wo bleibt die denn im Kapitalismus beim Siegeszug der Großkonzerne? Wenn sich Firmen scheinbar bekriegen, aber in Wirklichkeit zum selben Konzern gehören.

Und wie würden Sie den Kampf gegen die Großkonzerne aufnehmen?

Es ist wie bei TTIP, wir müssen aufklären. Wir müssen den Menschen stärker klarmachen, dass die Demokratie gefährdet ist, wenn auschließlich Konzerne das Sagen haben. Ich bin noch radikaler, ich würde am liebsten jeden Konzern zerschlagen. Es braucht keine Großkonzerne. Ich bin ja nicht gegen Unternehmer an sich. Es gibt tolle Mittelständler, die verantwortungsvoll arbeiten. Die zahlen Steuern, die haben keine Offshore-Tochterfirmen in Steuerparadiesen. Aber unsere Steuergesetzgebung unterstützt nicht die Mittelständler, die anständigen Unternehmer, sondern die Konzerne.

Warum glauben Sie, ist das so?

Weil die Lobbyisten zu viel Macht auf die Politiker ausüben können. Aber wenn man so argumentiert, muss man höllisch aufpassen. So eine ähnliche Argumentation gibt es auch von rechter Seite. Das heißt nicht, dass sie deswegen falsch wäre, aber ich möchte mich von den völkischen Tendenzen total abgrenzen: Immer dann, wenn ärmere Gruppen ausgeschlossen sind, dann ist es falsch.Und ich distanziere mich von allen Bewegungen und Organisationen, die nicht in vollem Umfang die Menschenrechte zu realisieren bereit sind, wie sie in der entsprechenden UN-Charta 1948 verabschiedet worden sind. Wir müssen immer für den Ärmsten der Gesellschaft kämpfen, selbstverständlich auch für den ärmsten Ausländer und für die Ärmsten im globalen System. Ich träume von einer grenzenlosen Welt!

Sie haben ein sehr optimistisches Flüchtlingslied geschrieben, ist das nicht auch naiv?

Natürlich. Ich bin bekennender Romantiker. Ich komme aus dem beginnenden 19. Jahrhundert und bin nur zufällig hier gelandet. Novalis sprach einmal von der Poetisierung der Welt. Das klingt auch sehr naiv. Aber wahrscheinlich ist es die einzige Möglichkeit, seiner Idee treu zu bleiben. In dem Lied „Ich habe einen Traum“ kommt eine Zeile vor, die heißt: „Wir versenken die Waffen im Meer.“ Es gab sofort Kommentare: Das gehe aus umweltpolitischen Gründen aber nicht!

Man hat es als Liedermacher auch nicht leicht...

Ich habe manchmal das Gefühl, die Menschen haben keinen Sinn mehr für Poesie und die Symbolsprache. Natürlich weiß ich auch, dass ich nicht mit einer Million Flüchtlinge am Tisch mein Brot teilen kann. Wenn Du zum Beispiel Rilke wörtlich nimmst, wird er dich nicht seelisch bereichern. Aber wenn Du seine Poesie als Symbol nimmst, hast Du einen Freund fürs Leben.

Eine Konstante in Ihrem Leben ist das Einstehen für den Pazifismus.

Ich stehe auch weiterhin zu meinem angeblich naiven Pazifismus. Ich habe mich dafür entschieden und werde das allerdings nie jemandem aufzwingen.Martin Luther King hat einmal gesagt, dass Pazifismus einen nicht von moralischer Schuld freispreche, das sehe ich genauso.. Aber ich glaube mehr denn je, dass die Menschheit bald keine mehr sein wird, wenn sie nicht gewaltfrei wird. Und wir müssen irgendwann damit beginnen.

Deswegen haben sie das Gedicht von Georg Heym „Der Krieg“ auf ihrem Album weitergeschrieben?

Das hat mich schon als 17-Jähriger gefesselt. Die dichtendenExpressionisten waren damals meine einzigen Freunde. Trakl hat mich durch meine Pubertät gebracht, Heym und der frühe Benn waren dann meine großen Lehrmeister. Ich finde es schön, dass ich etliche Jahrzehnte später noch einmal auf Heym zurückgreifen kann, der höchst aktuell ist. Das Gedicht hat er zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben. Viele, auch viele Intellektuelle, waren damals kriegsbegeistert. Heym hat da schon auf das kommenden Grauen hingewiesen. Ich war im Jahr 2003 im Irak und habe - wie ich immer spöttisch sage – versucht, die US-Armee am Einmarsch zu hindern. Das ist mir nicht gelungen wie man weiß. In einem alten Poetencafé in Bagdad hat ein Mann zu mir gesagt, wenn die Amerikaner in Bagdad einmarschieren, dann wird das Tor zur Hölle aufgemacht und mit ihren Waffen wird es weitergehen. Genau das ist passiert.

Haben Sie heute noch eine parteipolitische Heimat?

Da war ich immer schon meist ein Heimatloser. Ich halte es mehr mit den Menschen, als mit den Parteien. Es gibt für mich als Pazifisten, wenn überhaupt, nur die Linkspartei, weil die noch eine friedenspolitische Ausrichtung hat und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist. Die streiten aber intern auch schon und überlegen sich „regierungstauglich“ zu werden. Und dann wird es für mich sehr eng. Ich bin diese Haltung meinem Vater schuldig: Der hat bei den Nazis den Kriegsdienst verweigert. Er kam wie durch ein Wunder davon, weil sie ihn für verrückt erklärt haben.

Sie gehen mit 68 Jahren auf eine Mammuttournee und Ihre Konzerte dauern ja nicht gerade 90 Minuten.

Nein, wir spielen drei bis vier Stunden. Ich glaube, dass das Singen ein Heilmittel ist. Natürlich schleppe ich mich auch mal auf die Bühne, aber nach den ersten Tönen merke ich, wie es mir besser geht. Andere Menschen machen Yoga, ich singe. Meine Konzerte sind ein Liebesakt mit dem Publikum.

Sie spüren Ihr Alter nicht?
Ich glaube, dass ich fast noch die gleiche Energie habe wie vor 40 Jahren, nur damals war ich auf der Bühne testosterongeschwängerter. Es gibt aber auch ein paar Vorteile des Alters: Ich kann jetzt selbstironischer mit mir umgehen.

Fallen Sie nach so einem Tourneekraftakt in ein Loch?

Leider, erstaunlicherweise selbst im Rentenalter. Ich denke mir dann immer, ich könnte ja mal ein halbes Jahr in Italien bleiben! Aber meine Frau hat schon Recht: Sie hat mir letztens wieder gesagt: „Tu doch nicht so, nach einem Monat Nichtstun wirst Du doch nervös!“    


Konstantin Wecker tritt mit seiner Band am 26. Juni beim Tollwood Festival auf, Beginn 19 Uhr, Karten:  0700-38 38 50 24

 

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