Komponieren mit Künstlicher Intelligenz
München - Programme wie Midjourney malen (ziemlich kitschige) Bilder. Chatbots schreiben Gedichte. Musikprogramme komponieren Popsongs. In den USA fürchten Synchronsprecher und Schauspieler, von Künstlicher Intelligenz (KI) ersetzt zu werden. Und aus den Skizzen von Beethovens kaum begonnener Zehnter wurde mit dieser Technik eine komplette Symphonie, die vor drei Jahren für Furore sorgte - und schon wieder vergessen ist.
Unterschiedliche Ansätze
KI gilt in der Kunstwelt vielfach als Bedrohung von Kreativität. Zwei Projekte in München versuchen nun, den Spieß umzudrehen und der Kreativität mit dem Computer einen Booster zu verpassen. Am Donnerstag spielen die Münchner Symphoniker eine Uraufführung, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz komponiert wurde. Am Wochenende beschäftigen sich die Münchner Philharmoniker in der Firmenzentrale von Brainlab neben dem Tower des ehemaligen Riemer Flughafens mit ähnlichen Fragen. Der Ansatz beider Konzerte unterscheidet sich allerdings. Bei den Philharmonikern sind Werke zu hören, die mit Hilfe von Musikprogrammen entstanden.

Das Auftragswerk der Münchner Symphoniker dagegen entstand ohne ein spezialisiertes Programm: Die Komponisten Jakob Haas und Adrian Sieber traten mit "Gemini" in einen Dialog. Und das ist eine KI, die jeder nutzen kann, der über ein Google-Konto verfügt. Und es dürfte kein Zufall sein, dass das auf diese Weise entstandene Stück zweier Musiker wiederum mit Zwillingen zu tun hat: Es nennt sich "The Twin Paradox".
Den kreativen Prozess ergänzen
Das ist ein Begriff, auf Albert Einsteins Relativitätstheorie zurückgeht: Zwillinge, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch das Universum bewegen, erleben die Zeit unterschiedlich. Die gleichzeitige Verwendung unterschiedlicher Tempi und mikrotonaler Verschiebungen soll diese unterschiedliche Erfahrung in der Komposition des Duos widerspiegeln.
Dafür, dass das Stück auch zu den Symphonikern passt, sorgte Haas. Er ist fester Cellist des Orchesters und zugleich Mitglied der Münchner Hip-Hop-Band Einshoch6. Sieber wiederum hat bereits drei Opern komponiert und schreibt auch Filmmusik. Was zum übrigen Programm des Abends passt, an dem auch Hans Zimmers "Interstellar"-Suite erklingt. Und die wiederum gehört zu einem Film von Christopher Nolan, der sich wie "The Twin Paradox" ebenfalls mit dem Zwillings-Paradoxon auseinandersetzt.

Das Duo wollte sich beim Pressegespräch nicht festlegen, wie das Stück klingen werde: nicht wie Filmmusik, so der Tenor, eher gemäßigt modern, mit Ausflügen in die Atonalität, bisweilen erinnernd an den amerikanischen Komponisten Aaron Copland. Das lag ausschließlich in der Verantwortung von Haas und Sieber, denn Googles "Gemini" kann keine Notenschrift, sondern nur über Musik reden. Das hat das Duo dann übersetzt: "Manchmal war die KI etwas dogmatisch, aber auf Easy Listening lief es nie hinaus", so Haas.
Die KI als Drag Queen
Programme dieser Art sind naturgemäß konservativ, wie an ihrem Malstil zu beobachten ist, weil sie auf das im Internet gespeicherte Wissen zurückgreifen. Ersetzbar fühlte sich das menschliche Duo nie: "Die Ergänzung des kreativen Prozesses durch die KI war das Interessante", resümieren die Komponisten ihre Erfahrung.

Im Brainlab geht es am Samstag spielerischer zu. Die Studierenden von Moritz Eggert nutzten Programme wie "Ricercar". Es kann Melodie-Anfänge eigenständig fortsetzen. Zu hören ist unter anderem ein Klavierkonzert, dessen Solo von der KI für ein selbstspielendes Klavier geschrieben wurde, die Instrumentalbegleitung dagegen von Menschen. "Dabei war es den Komponistinnen und Komponisten überlassen, ob sie das Klavier begleiten, konterkarieren, sich unterordnen oder gegen es anschreiben möchten", heißt es dazu im Begleittext.
Sie will nur spielen
Ein anderes Stück geht vom Beginn eines bekannten Klavierstücks von Franz Schubert aus und demonstriert dessen unterschiedliche Weiterentwicklung durch das Programm. In einem weiteren Werk tritt die KI selbst auf: als Drag Queen, die von einem Computer erstellte Texte vorträgt.

"Was die KI kann und was nicht, ob ihr Einsatz sinnvoll ist oder nicht: Das sind für uns offene Fragen, die wir dem Publikum stellen", sagt Eggert über das Konzert seiner Studierenden. Und damit bringt er indirekt die zentrale Frage auf den Punkt: KI ist eine Technik. Sie wird womöglich Komponisten von Fahrstuhlmusik ersetzen. Aber sie kann auch Künstler begeistern und inspirieren. Ohne ihre menschlich kreativen Entscheidungen und ihren Mut wäre das Ergebnis langweilig und austauschbar. Daher ist es falsch, sich technikskeptisch zu fürchten. KI mag bedrohlich wirken wie mancher große Hund. Aber wie der will sie eigentlich nur spielen.
Das Konzert der Münchner Symphoniker ist am Do., 10. Oktober, um 19.30 Uhr im Prinzregententheater. Infos zum Stück auf Google Arts & Culture.
Die Münchner Philharmoniker spielen am Sa., 12. Oktober und So., 13. Oktober im Brainlab, Olof-Palme-Str. 9, Messestadt (Karten: 30 Euro). Infos und Tickets bei Münchenticket und über die Homepage der beiden Orchester