Kirill Petrenko und Marc-André Hamelin im Akademiekonzert
Eigentlich reicht es, die Musik von Sergej Rachmaninow laut, dick und sentimental zu spielen. „Russische Sääääle“, denkt sich der Hörer und genießt. Feinsinnige Geister lassen so ein Konzert ohnehin lieber aus.
Aber es geht auch anders. Kirill Petrenko, der Penible unter den Dirigenten dieser Stadt, hat es an den „Symphonischen Tänzen“ vorgeführt. Er begann Rachmaninows letztes Werk ganz leise und verhalten. Dann krachte der eherne Rhythmus los. Später, wenn im lyrischen Mittelteil des ersten Satzes die Oboe im Mezzoforte und die Klarinette dazu piano spielen sollen (was aber im symphonischen Eifer fast immer überlesen wird), spielten die Bläser des Bayerischen Staatsorchesters das so genau und schattiert, wie es in der Partitur steht. Auch der Mann am Saxophon hielt sich diskret zurück.
Lesen Sie auch unser Interview mit Marc-André Hamelin
Petrenko nahm die „Symphonischen Tänze“ so wichtig wie ein Hauptwerk der zweiten Wiener Schule, in dem die Freiheit des Interpreten erst aus der akribischen Beachtung der Details und der exakten Ausführung der Vortragsanweisungen erwächst. Dem Dirigenten geht es aber nie um eine Dressur als Selbstzweck. Denn aus dem Reichtum an Zwischentönen entsteht erst der Geist dieses Abgesangs auf die russische Musiktradition, entstanden 1941 im amerikanischen Exil.
Petrenko ließ große Gefühle zu, wo sie notiert sind. Er nahm den Walzer elegant und steigerte das Finale zu einem wilden Totentanz, der das „Dies irae“ erst versteckt und später offen zitiert. Aber anders als in Maurice Ravels „La Valse“ oder Alban Bergs „Drei Orchesterstücken“ wahrt Rachmaninow eine aristokratische Noblesse: Die Apokalypse blitzt nur auf. Zuletzt ließ Petrenko den Tam-Tam-Schlag über dem Schlussakkord überraschend nachhallen: Kein gesuchter Effekt – es steht so in den Noten.
Der russische Pfitzner
Zu Rachmaninows weltverlorenem Konservativismus passte das Klavierkonzert Nr. 2 von Nikolai Medtner. Den darf man nach der Lektüre des klugen Programmhefts als russischen Pfitzner bezeichnen. Nur komponierte der Deutsche weniger akademisch. Bei diesem vollgriffigen Konzert trafen sich zwei verwandte Seelen: der Akribiker Petrenko und der aus einer ähnlichen Haltung spielende Marc-André Hamelin.
Beide praktizieren Präzision nicht auf Kosten der Seele. Hamelin und Petrenko verwandelten die eher herbe Kost in ein bejubeltes Ereignis. Denn es ist, wenn man sich an gewisse Klavier-Ereignisse der letzten Tage erinnert, durchaus ein Vergnügen, einem Pianisten zuhören zu dürfen, der auf eine hochmusikalische Weise keine technischen Grenzen kennt.
Davor gab es, kurz und knapp, die „Rêverie“ von Alexander Skrjabin – ein Werk der Wagner-Nachfolge. Petrenko inszenierte eine spannungsgeladene Generalpause, ehe die Musik noch kurz nachschwelgte. Da schoss einem durch den Kopf: Ehe Petrenko zu den Berliner Philharmonikern entschwindet, ist er uns – als Entschädigung – noch Wagners „Tristan und Isolde“ schuldig.
Hamelin spielt am Freitag um 19.30 Uhr im Herkulessaal Werke von Liszt, Samuel Feinberg und Schumann, Abendkasse