Kirill Petrenko, Franz Peter Zimmermann und das Staatsorchester mit Tschaikowsky und Strauss
Mit geschlossenen Augen spielt Frank Peter Zimmermann die größten Teile des Violinkonzertes D-Dur Peter Tschaikowskys. Wohlgemerkt heißt das nicht, dass er sich etwa in sich selbst verkriechen würde oder nichts von den anderen wissen wollte; im Finalsatz wendet er sich vielmehr energisch den 1. Violinen zu, um sie anzufeuern und gleichzeitig die Gestaltung der Motive mit ihnen engstens abzustimmen.
Nein, Zimmermann kann sich einfach seinem Begleiter am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, blind anvertrauen. Er weiß sich in den besten Händen, selbst wenn wie im Kopfsatz die schwebend nachschlagende Begleitung der Streicher heikel zu koordinieren ist. Petrenkos Dirigierstab pulsiert hier nur sacht durch die Luft, die Punktgenauigkeit des Zusammenspiels ist nur Beiwerk: Es geht um viel mehr, nämlich um ein fast telepathisches gemeinsames Musizieren.
Zimmermanns Ton, der in der Akustik der Bayerischen Staatsoper angenehm trocken, dabei geschmeidig erscheint, fügt sich in das feine Begleitungsgespinst ein, wird unaufdringlich zur ersten Stimme, ohne je überstrahlen oder gar dominieren zu wollen.
Das ist höchste Kunst
Sowohl Solist als auch Dirigent wollen das Gleiche: ein umstandsloses, straffes Spielen, das aber stets Raum für Freiheiten läßt, das einen einzigen Bogen über die einzelnen Sätze, ja, über das ganze Konzert aufspannt, innerhalb dessen Einheit jedes Detail herrlichst erblühen kann. Eine schlichtweg perfekte Realisierung.
Zwar ist Kirill Petrenko schon lange bekannt für seine Fähigkeit, ein riesiges Orchester so kammermusikalisch zu halten, als wäre es ein Streichquartett. Doch was er für Richard Strauss´ „Symphonia domestica“, ein umstrittenes Werk, erreicht, ist noch einmal eine Klasse für sich. Ist es eine akribische Probenarbeit, die unvergleichlich deutliche wie elegante Gestengebung oder das gegenseitige Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsorchester?
Wahrscheinlich eine Mischung aus alledem und noch mehr erlaubt es Petrenko, in die Tiefe des Orchesters einzuwirken. So ist hier nicht nur ein glanzvolles Tutti garantiert, wie nur Richard Strauss es schreiben konnte. Zum Ereignis wird wie dieses Tutti bis in die feinsten Verästelungen hinein organisiert ist. Kammermusik wird hier nicht nur gemacht, wenn ohnehin nur wenige beteiligt sind, sondern gerade dann, wenn alle spielen. Das ist höchste Kunst.
Dieser räumlichen Entfaltung entspricht eine genauso begeisternde Umsicht in Bezug auf die zeitliche Dimension, nämlich die nachvollziehbare Erfassung der Form des langen und feingliedrig gebauten Stückes, das weitaus mehr darstellt denn eine konventionelle Symphonie (und am wenigsten übrigens eine banale Programmusik). Das Tempo ist nicht bloß schnell, sondern leicht bewegt, die Musik fließt in einem lockeren Parlando dahin, die Solisten schärfen die einzelnen Motive zu bildhaften Gesten: gemütlichen und erregten, zarten und kraftstrotzenden sowie mitunter anrührend kindlichen.
Der Vergleich zu den größten unter den Strauss-Interpreten, etwa Clemens Krauss, drängt sich auf. Und möglicherweise, wenn man des Komponisten Einspielung von 1944 hört, dirigiert Petrenko dieses Stück sogar besser als sein eigener Autor.