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Das nennt man ein gelungenes Heimspiel: Trainer und Mannschaft erschöpft, aber glücklich, das Publikum aus dem Häuschen. Fehlte nur noch die La-Ola-Welle. Doch hier handelte es sich nicht um ein Fußballmatch, sondern um Gustav Mahlers Achte („Symphonie der Tausend“) im Bregenzer Festspielhaus.
Die Mannschaft: das Symphonieorchester Vorarlberg, der Salzburger Bachchor, der lokale Festspielchor ein Kinderchor, dazu acht Gesangssolisten, Gut 350 Menschen bevölkerten die Bühne des Festspielhauses. Und der Trainer, kein Geringerer als Kirill Petrenko, Noch-Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und ab September Chef der Berliner Philharmoniker, musste sich zum Dirigentenpult mühsam durchquetschen.
Petrenko, der Meister aller Klassen, bei einem Provinzorchester? Das wäre, wie wenn Jürgen Klopp in der Kreisliga auftauchen würde. Doch das Geheimnis, dass keines ist, löst sich schnell. Denn der Dirigent ist in Bregenz zu Hause.
Ein Überflieger
Auf dem Höhepunkt von Gorbatschows Perestroika, als die sozialen Konflikte in der Sowjetunion schärfer wurden und der Antisemitismus wuchs, wanderte die jüdischstämmige Familie Petrenko vom sibirischen Omsk nach Österreich aus. Der Vater fand eine Stelle als Geiger beim Symphonieorchester Vorarlberg, die Mutter, Musikwissenschaftlerin und Dramaturgin, gab Russischunterricht an der Bregenzer Handelsschule. Und der Sohn, der schon damals nur das Berufsziel Dirigent kannte, belegte am Vorarlberger Landeskonservatorium in Feldkirch Musiktheorie und Klavier, bevor er nach drei Jahren zum Dirigierstudium nach Wien wechselte.
„Er war immer ein Überflieger“, erinnert sich der Paukist im Symphonieorchester. „Da sind manchmal sogar die Professoren nicht mitgekommen.“ Petrenko kletterte immer höher auf der Karriereleiter. Nach Auslaufen seines Vertrages als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin im Jahre 2007 wollte er zunächst als freier Dirigent arbeiten. Er begann 2008 beim Vorarlberger Landesorchester einen Mahler-Zyklus, der nun mit der Achten kurz vor seiner Vollendung steht.
Treu der Heimat
Petrenkos Heimattreue ist es zu verdanken, dass er auch nach seiner Berufung nach München und Berlin das Projekt „Mahler 9x9“ konsequent weiterverfolgte. Und sicher auch der ungewöhnlich intensiven Probenarbeit mit den Musikern, die ihn fast alle noch vom Studium kennen.
Und wie hats geklungen? Phänomenal! Technisch gelang die Aufführung des Monumentalwerks beinahe makellos. Außerdem geschah an diesem Abend ein kleines Wunder. Der Kontrollfreak ließ seine Leute einfach mal machen. Die Musik strömte und verströmte sich, vor allem im oft kammermusikalisch gehaltenen zweiten Teil der Symphonie, einer Vertonung der verklärenden Schlussszene aus Johann Wolfgang von Goethe „Faust II“. Der ist ohnehin viel schöner als der altersfrömmelnd dröhnende Pfingsthymnus „Veni, creator spiritus“ zu Beginn.
Im Publikum saß Petrenkos Mutter. Der Vater ist Ende der 90er Jahre verstorben. Ob sie stolz sei auf ihren Sohn? Sehr! Ob er jetzt gerade zu Hause bei ihr wohne? Nein, aber er komme zum Essen vorbei. Was es gebe? Etwas Einfaches.
Mehr war nicht aus der freundlichen, kleinen Dame herauszuholen. So wird es leider auch diesmal nichts mit der Homestory: Bei den Petrenkos zu Tisch.
Petrenko dirigiert am 8. 9. und 11. Juni 2020 die Achte im Münchner Nationaltheater