Keith Richards' Soloalbum: Aus dem Streit geboren
"Die Stones rollen einfach weiter", verkündete die Band vor einigen Tagen auf Twitter. Schlagzeuger Charlie Watts ist im August gestorben, aber Mick, Keith und Ronnie touren im Sommer trotzdem wieder durch Europa, auch im Olympiastadion machen sie Halt. Und feiern einen stattlichen Anlass: das 60. Jubiläum der Band. Dabei hatte es zwischenzeitlich mal so ausgesehen, als ob diese noch nicht mal ihren 30. Jahrestag erleben würde. Denn Ende der Achtziger lagen sich Mick Jagger und Keith Richards gewaltig über Kreuz.
Nach 30 Jahren: Soloalbum "Main Offender" wird nochmal veröffentlicht
Mit Blick aufs Plattenregal wäre ein Ende der Rolling Stones in den Achtzigern aber, mit Verlaub, gar nicht so dramatisch gewesen: Zum einen war ihr Jahrhundertwerk ohnehin Anfang der Siebziger weitgehend abgeschlossen. Zum anderen hatte Keith Richards während seines Zwists mit Jagger eine großartige neue Band auf die Beine gestellt: die X-Pensive Winos. Das kann man jetzt nochmal nachhören auf Richards' zweitem Soloalbum "Main Offender", das wegen eines anderen Jubiläums neu erscheint: Es wurde vor dreißig Jahren veröffentlicht.
Für seine Begleitband X-Pensive Winos hatte er Top-Musiker aus den ganzen USA zusammengeklaubt: Session-Gitarrist Waddy Wachtel aus L.A., der auf unzählbaren Platten toller Künstler von Bonnie Raitt bis Randy Newman gespielt hatte; Ivan Neville, Keyboarder aus der New Orleans-Musikerdynastie und Sohn von Engelsstimme Aaron Neville; dazu zwei New Yorker, den Schlagzeuger Steve Jordan und den Multiinstrumentalisten Charlie Drayton, der ebenfalls als Schlagzeuger bekannt ist, bei den Winos aber Bass spielte. Überhaupt tauschten all diese Könner gern einfach so mal ihre Instrumente.
Richards: Mit anderen Musikern spielen "war eine völlig neu Erfahrung"
"Wenn du bei den Rolling Stones spielst, denkst du: Tja, das ist es dann wohl so ziemlich gewesen", sagt Richards heute amüsiert. "Die Möglichkeit, mit anderen Musikern zu spielen, war eine völlig neue Erfahrung. Obwohl ich schon ein alter Hase war, hat es mir ein neues Gefühl gegeben für die Dinge, die ich mache."
Erstmals war das 1988 der Fall, als sein starkes Solo-Debüt "Talk Is Cheap" erschien. Im Jahr darauf aber versöhnte er sich mit Jagger und die Stones gingen auf die gigantischen "Steel Wheels" und "Urban Jungle"-Tourneen.
Mit den X-Pensive Winos war trotzdem nicht Schluss. "Ich dachte damals, das wäre eine einmalige Sache, und das war super", sagt Richards. "Aber zwei Jahre später bestanden irgendwie alle darauf, dass wir wieder zusammenkommen."
Rock, Reggae und Balladen auf einer Platte
Und so entstand 1992 eben die nächste tolle Platte: "Main Offender". Deren Highlights sind die kernig-trockenen Rocknummern "999" und "Wicked As It Seems", die wunderbare soulige Ballade "Hate It When You Leave" und "Demon". Auf "Words Of Wonder" widmete sich Richards seiner Liebe zum Reggae.
Die Neuveröffentlichung gibt es auf CD und Vinyl sowie digital, außerdem erscheint eine Doppel-CD-Version und ein Deluxe-Boxset, die beide neben dem neu gemasterten Album ein unveröffentlichtes Konzert von 1992 enthalten.
Es wurde im Londoner Town & Country Club aufgenommen, der Eintritt betrug 15 Pfund, umgerechnet 18 Euro. "Ich hatte tatsächlich vergessen, dass wir das überhaupt aufgenommen haben", sagt der 78-Jährige. "Das hat mich sehr gefreut. Man kann überall aufnehmen, aber ich glaube, wenn du in deiner Heimatstadt spielst, ist das einfach was Besonderes."
Live-Album ist ein Vergnügen
Die Winos rockten bei seiner Heimkehr muskulös und lässig zugleich, neben ihren eigenen Nummern spielten sie auch ein paar Klassiker, die Keith bei den Stones singt: "Before They Make Me Run" und "Happy". Und er wagte sich sogar an eine von Micks Paradenummern, "Gimme Shelter", die aber ein wenig gehemmt wirkt. Insgesamt ist das Live-Album aber ein Vergnügen.
In dem wunderbaren, in Leder eingebundenen Deluxe-Boxset gibt es dieses und "Main Offender" auf Vinyl wie auch auf CD und noch vieles mehr, darunter ein 88-seitiges Buch mit vielen Fotos und Keiths handgeschriebenen Songtexten, dazu Faksimiles von Setlist und Eintrittskarten der damaligen Tour, ein Hochglanz-Foto von Starfotograf David LaChapelle und Polaroids aus dem Backstage-Bereich, Poster, Aufkleber, und - Gitarristen, aufgepasst - ein Plektrum der Tour mit der Aufschrift "Keef Riffhard".
Richards über seinen Job: "Ich schreibe Songs, die Mick Jagger singt"
Auf seine Riffs konzentrierte sich Keith seinerzeit auch bald wieder, nach "Main Offender" machte er mit den Stones in den Stadien dieser Welt weiter und überließ Jagger die Rolle des Frontmanns. "Ich habe schon einen unglaublichen Sänger, und ich muss dafür sorgen, dass er Arbeit hat", sagt Keith. "Es macht mir wirklich Spaß zu singen, wenn das Lied passt. Ich mache das so oft wie möglich. Aber mein Hauptjob ist es und war es schon immer, dass ich Songs schreibe, die Mick Jagger singt."
Für die X-Pensive Winos war also Schluss. Immerhin drei der Musiker waren dann 2015 an Keith Richards drittem Solo-Album "Crosseyed Heart" beteiligt, und vergangene Woche spielte die Band drei Songs im New Yorker Beacon Theatre, um die Wiederveröffentlichung von "Main Offender" zu bewerben.
Im Juni kommen die Rolling Stones nach München
Und für einen von ihnen wurde die Band zum Sprungbrett - freilich mit drei Jahrzehnten Verzögerung: Steve Jordan übernahm im vergangenen Herbst den Schlagzeug-Posten des verstorbenen Charlie Watts. "Ich glaube, die Rolling Stones wollen jetzt sehen, was wir in der neuen Besetzung noch auf die Beine stellen können", sagt Keith Richards.
Am 1. Juni geht die Tour in Madrid los, am 5. Juni kommen die Stones nach München, wohl ein letztes Mal - allerdings hat man das bei ihren letzten drei Münchner Konzerten auch schon gedacht. Eines steht für Keith Richards jedenfalls fest: "Was ich mache, mache ich, bis ich umfalle."
Keith Richards: "Main Offender (30th Anniversary Edition)", in verschiedenen Versionen bei BMG
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