Keine Gefühle für München

Keith Jarrett, Weltstar des Jazz mit legendären Schrullen, kommt nach 12 Jahren wieder zu einem Konzert nach München
von  Roland Spiegel

"Hello-o!“ Fast gesungen, diese Begrüßung! Und das von einem Musiker, der sich gern auch mal ganz schlecht gelaunt gibt – und sein Publikum anschnauzt, wenn jemand hustet. Aber der Pianist Keith Jarrett – einer der ganz wenigen Superstars des Jazz seit den siebziger Jahren – hat offenbar auch andere Stunden. Am 9. Juli ist er mit seinem Trio in der seit Wochen ausverkauften Münchner Philharmonie zu hören. Roland Spiegel, Redakteur von BR-Klassik und früher Redaktionsmitglied der Abendzeitung, hatte vor Kurzem Gelegenheit zu einem der seltenen Interviews mit dem als schwierig geltenden Tastenstar – per Telefon, verbunden mit Jarretts Haus in Oxford, New Jersey, „in the woods“, wie Jarrett sagt.

AZ: Mr. Jarrett, soeben ist eine CD Ihres Trios mit Aufnahmen von 2009 aus dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern erschienen. Welche Erinnerungen haben Sie an den Auftritt?

KEITH JARRETT: Ich erinnere mich, dass wir den Saal nicht mochten. Keiner von uns konnte etwas Gutes über den Sound auf der Bühne sagen, doch dann hörte ich die Aufnahmen – und ja: Auch wenn wir den Saal hassten, die Musik ist noch da.

In Ihrem Trio mit Bassist Gary Peacock und Drummer Jack DeJohnette spielen Sie sehr viele Jazz-Evergreens. Steht die Auswahl der Stücke Abend für Abend fest?

Wir wissen nie, was wir spielen werden. Das ist Antwort Nummer eins. Nummer zwei ist: Wir haben vielleicht Stücke geprobt. Im Soundcheck spielen wir aber dann etwas Neues oder Stücke, die wir eine ganze Zeitlang vergessen hatten; aber sie kommen dann im Konzert nicht vor. Und dann wiederum spielen wir vielleicht im Konzert etwas, das wir schon lange nicht mehr gespielt haben und bei dem ich mir nicht sicher bin, ob irgendjemand von uns sich noch an die Akkorde erinnert, einschließlich mir selbst. Jack hat’s da gut, Jack ist der Schlagzeuger.

Welche Rolle spielt die Eingebung des Augenblicks in Ihren Trio-Konzerten?

Jedes Konzert stützt sich auf behutsam vororganisiertes Material – so behutsam, dass wir es spontan ändern können. Jeder von uns hört dem anderen so aufmerksam zu, dass wir sofort merken, wenn etwas in der Luft liegt. Einer der Gründe, warum Jack und Gary die Jungs in der Band sind, ist, dass sie so gut hören – und die spezielle Würze, die sich in jeder Version eines Songs ergibt, sofort wahrnehmen. Nehmen Sie „Somewhere“ auf der neuen CD. Nie vorher entstand unversehens am Ende einer Ballade ein neues, eigenes Stück. Doch hier war es so. Und das nur, weil ich mit dem letzten Akkord irgendetwas angestellt hatte, das die Musik in ein anderes Universum mitnahm. Jack und Gary folgten einfach.

In wenigen Tagen treten Sie in München auf – der Termin ist exakt der 70. Geburtstag von Manfred Eicher, dem Chef Ihres in München ansässigen Plattenlabels, für das Sie seit Anfang der Siebziger Jahre aufnehmen. Wie stark ist der Einfluss, den Manfred Eicher auf den Charakter und die Entwicklung Ihrer Musik hatte?

Er hat einfach zugelassen, was ich musikalisch mache – und dafür gesorgt, dass die Musik unverfälscht präsentiert werden kann. Für mich stellte er sich einfach als der perfekte Produzent heraus. Er hörte von Anfang an genau zu, konnte sagen, wenn Dinge gut waren. Wir waren schon auch mal unterschiedlicher Meinung – aber das ist nur gut, das ist so, wenn zwei verschiedene Menschen aufeinander treffen. Wenn ich mir eine Sache in den Kopf setze, legt er mir keine Steine in den Weg, und er treibt keine Spielchen. In dieser Hinsicht ist er der beste Freund, den ich habe.

Ihr Münchner Konzert ist das einzige in Deutschland. Was haben Sie in Erinnerung von Ihrem letzten Münchner Konzert 2001 im Nationaltheater?

Ich verbinde keine Gefühle mit Plätzen, jedenfalls nicht im Sinn Ihrer Frage. Ich glaube nicht an Geburtstage. Ich glaube nicht an dreißigste Jubiläen. Irgendwann hat jemand die Tage eines Jahres festgelegt und die zwölf Monate erfunden. Das geht mich alles nichts an. Die Frage, was ich bei München empfinde: Ich empfinde nichts. Kein Ort der Welt weckt bei mir Empfindungen. In München habe ich sogar eine kurze Zeit gelebt, am Anfang, als Manfred Eicher und ich miteinander zu Städten in Europa fuhren, wo ich Konzerte gab. Aber ein Gefühl zu München – nein. Ich wurde in Allentown, Pennsylvania, geboren. Was fühle ich, wenn ich an Allentown denke? Nichts, null. Und der Ort in New Jersey, an dem ich lebe? Auch nichts.

Leben Sie in Ihrer Musik wie in einem eigenen Universum?

Ja, vielleicht. Der größte Teil von mir ist die Musik. Ich mache Musik, seit ich drei war. Ich lebe abgeschieden in einem kleinen Wald, eben weil ich Orte nicht mit nostalgischen Gefühlen verbinde, und das wiederum macht es mir möglich, in jedem Ort sofort aufzugehen, ohne die Bindung an einen anderen. Wenn wir dann an einem Ort spielen, stellt sich heraus: Es ist überall anders, die Leute sind überall anders. Wenn ich etwas über die Leute sagen könnte … Wann war nochmal der Auftritt in München, den Sie erwähnten?

Im Juli 2001.

Habe ich seitdem dort gespielt?

Nein.

Wenn Sie nach meinen Erfahrungen bei diesem Konzert fragen würden, hätte ich eine noch schlimmere Antwort als bei Luzern.

Und die wäre?

Es war so förmlich. Dieses Förmliche musste ich irgendwie auflösen. Jedes Mal, wenn ich in Deutschland auftrete, habe ich den Eindruck, ich müsste einen dunklen Anzug tragen und gerader gehen. An einem anderen Ort vor einiger Zeit in Deutschland, ich weiß nicht mehr, welchem, hatte ich das Gefühl, wir müssten jetzt besonders flippig spielen, weil die Atmosphäre so steif und so streng war. Ich will jetzt aber nicht dem deutschen Publikum den Schwarzen Peter zuschieben, ich kann auch etwas über Japan oder Amerika sagen. Das Problem mit Japan ist: wenn es da still ist, dann gleich so, dass es sich wie tot anfühlt. In Amerika ist das Publikum mit der Zeit besser geworden, es hat gemerkt, dass es zu seiner Job-Beschreibung gehört, aufmerksam zu sein.
 

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