Kein einziges Wölkchen
Die Konzerte waren seit Langem ausverkauft, kein Wunder: Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker gastiert selten bei fremden Orchestern.
Zum zweiten Mal stand er nun am Pult des BR-Symphonieorchesters im Herkulessaal. Im Gepäck ein Programm, das für ihn typisch ist und ihn als einen modernen Musiker unserer Zeit ausweist, der sich nicht wie so mancher seiner berühmten Kollegen hinter den Highlights aus dem Klassik-Museum versteckt. Haydn, Sibelius, Ligeti und Schumann – Simon Rattle gab dem Orchester ausreichend Gelegenheit, seine Qualitäten zu demonstrieren.
Trotzdem schoss die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan diesmal den Vogel ab. Nach den melancholischen Klangabenteuern von Sibelius („Luonnotar“) stürzte sie sich kopfüber in die schwierigen Koloraturen der drei Arien des Gepopo aus György Ligetis „Le Grand Macabre“. Ein aberwitziger Trapezakt, vom Publikum frenetisch bejubelt – obwohl die skurrilen Textpassagen durchaus gewöhnungsbedürftig sein könnten: „Psst! Shsh! Ko! Koko! Kokokoko!“
Sir Simons Wundertüte enthielt für jeden Geschmack das Richtige. Wann hat man Joseph Haydns Es-Dur-Symphonie Nr. 91 derart witzig musiziert vernommen, klanglich wunderbar ausgewogen, mit herrlichen Holzbläser-Soli (Fagott!)? Und auch in Robert Schumanns zweiter Symphonie trübte kein Wölkchen den Himmel. Die fragwürdige Instrumentierung war kein Thema mehr. Die Neigung des Komponisten, klangliche Strukturen durch Füllstimmen zu verdicken, wurde mit äußerster Transparenz bekämpft.
Das Orchester legte sich mächtig ins Zeug – als gelte es zu beweisen, dass es an guten Abenden keine Konkurrenz aus Berlin zu befürchten braucht. Sir Simon wird es bemerkt haben. Ein hinreißendes Konzert.