Karsten Witt erklärt sein Gutachten zum Gasteig-Umbau

Weniger Stammtisch wagen! Ein Gutachten des Konzertsaalexperten Karsten Witt prüft im Auftrag des Bayerischen Rundfunks die Argumente für und wider einen Umbau der Gasteig-Philharmonie
Robert Braunmüller |
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Anfang Februar haben sich Horst Seehofer und Dieter Reiter darauf geeinigt, den städtischen Gasteig gemeinsam zu einem modernen Klassik-Konzertsaal umzubauen. Der Staat „ertüchtigt“ den Herkulessaal und verzichtet auf einen Neubau am Finanzgarten. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist enttäuscht und lauert auf das Öffnen eines Hintertürchens. Eine neue Studie des Musikmanagers Karsten Witt liefert frische Argumente für die Position der Musiker.

AZ: Herr Witt, falls Reiter und Seehofer ihren Beschluss durchziehen, was wären die Folgen?

KARSTEN WITT: Dann bräuchte man immer noch den dritten Saal. Erstens, weil es schon heute kaum freie Kapazitäten für private Veranstalter gibt. Und zweitens, weil der neue Gasteig sich nach einem Umbau zu einem spezialisierten Klassik-Konzertsaal für Pop-Konzerte und Shows nicht mehr eignen würde. München würde also als Ersatz für den Gasteig einen neuen Multifunktions-Saal brauchen.

Wie gefragt ist die Philharmonie heute?

An den 200 Tagen, die die Kernsaison zwischen Mitte Oktober und Mitte Mai ausmacht, gibt es keine freien Kapazitäten. Private Veranstalter weichen auf unattraktive Termine aus und nutzen alle Lücken. Daher ist offensichtlich, dass München einen weiteren Konzertsaal braucht.

Ihre Studie plädiert dafür, den Gasteig weitgehend unverändert zu lassen und stattdessen anderswo einen neuen Klassik-Saal zu bauen. Was haben Sie gegen den Herkulessaal?

Nichts. Er ist nur für groß besetzte Symphoniekonzerte ungeeignet.

Was spricht dagegen, dass beide Orchester dort Mozart oder Schumann spielen?

Es ist selten, dass ein großes Symphonieorchester ein reines Bach- oder Mozart-Programm in kleiner Besetzung spielt und die restlichen Musiker zum Spazierengehen schickt. Wenn man die Freiheit hat, wird man Mozart mit Schostakowitsch oder Mahler verbinden. Ich sehe die Zukunft des Herkulessaals nach einer „Ertüchtigung“ eher im Bereich der Alten Musik, für Klavierabende und Kammerorchester.

Bisher spielt der BR hier auch Neue Musik.

Ich besuche öfter Konzerte der musica viva. Der Herkulessaal ist dafür nicht geeignet. Wenn man von außen kommt, wundert man sich schon, wieso in München selbst von Insidern der Status quo verteidigt wird.

Das liegt daran, dass bislang vom BR-Symphonieorchester immer nur ein dritter Saal gefordert wurde, ohne über ein inhaltliches Konzept zu reden.

Das wundert mich nach einer Debatte von zehn Jahren auch. Ich finde das Stammtisch-Niveau der Debatte deprimierend. Es wäre dringend notwendig, alle Leute, die an diesem Saal interessiert sind, zusammenzuholen, und eine Vision samt Businessplan zu entwickeln.

Wer sollte in dem neuen Saal spielen?

Einen Saal allein für das Symphonieorchester des BR zu bauen, hielte ich für problematisch. Bedarfsanalysen zeigen aber, dass es heute schon eine ausreichende Nachfrage gibt. Darüber hinaus geht es darum, eine neue Nachfrage zu schaffen und damit ein neues Publikum zu generieren. Da hätte ich nach den Erfahrungen an anderen Orten nicht die geringsten Bedenken.

Wie sollte der Saal aussehen?

Ob man Brahms oder Neue Musik spielt, die Grundanforderungen sind ähnlich. Idealerweise würde man einen Saal bauen, in dem auch Raum-Musik und Projektionen möglich wären. Deshalb halte ich die Weinberg-Form nach dem Vorbild der Berliner Philharmonie für problematisch. Die Konzeption sollte man jedenfalls nicht wie bei der Hamburger Elbphilharmonie dem Architekten überlassen.

Die Musiker wehren sich vehement gegen Ausweichspielstätten. Verstehen Sie das? Beim Gärtnerplatztheater klappt das doch auch.

Ich sage nicht, dass es nicht geht. Aber es ist bei einem Theater mit 800 Plätzen leichter als bei einem Saal mit 2400 Plätzen. Daher renoviert man Konzertsäle besser in begrenzten Schließzeiten außerhalb der Saison. Ich finde es unverantwortlich, den Gasteig ab 2020 schließen zu wollen, ohne gleichzeitig eine Alternative anzubieten.

Sind Ausweichspielstätten nicht in Wahrheit eine Chance für ein neues Publikum?

Das stimmt schon. Aber das muss man mit den Orchestern gemeinsam planen. Es gibt auch schlechte Erfahrungen, beispielsweise beim Orchestre de Paris, das während des Umbaus der Salle Pleyel fast alle Abonnenten verlor.

Wie würden Sie den Gasteig verändern?

Ich habe mit verschiedenen Akustikern gesprochen. Alle sagen: Der Saal könnte unaufwendig durch den Einbau von Reflektoren verbessert werden. Der dann fehlende Nachhall müsste elektroakustisch erzeugt werden.

Und Sie glauben, dass feine Musikerohren das goutieren?

Wenn man solche Anlagen gehört hat, verändert man seine Haltung. Auch mir ist es so gegangen. Im Übrigen ist so etwas nicht teuer: In Stockholm hat der Einbau einer solchen Anlage unter 100 000 Euro gekostet.

Haben Sie für Ihre Studie auch mit den Münchner Philharmonikern gesprochen?

Leider nicht. Aber ich werde sie den Philharmonikern, dem Gasteig und der Stadt schicken. Ich wurde zwar vom BR beauftragt. Aber ich habe versucht, etwas aufzuschreiben, das konsensfähig ist.

Das Gutachten als PDF-Datei im Internet unter www.br.de

 

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