Kammerorchester-Chefdirigent Schuldt: "Ein Konzert ist auch Begegnung"

München - Noch weiß niemand, wie die Corona-Lage im Herbst sein wird. Das Münchener Kammerorchester möchte dann - im zweiten Anlauf - seine "Nachbarn"-Saison nachholen.
Danach verabschiedet sich Clemens Schuldt nach sechs Jahren als Chefdirigent.
AZ: Herr Schuldt, Ihr Orchester und Sie haben einen Impfaufruf gestartet. Aus welchem Grund?
CLEMENS SCHULDT: Das Thema brennt uns auf den Nägeln. Erst hat die Gesellschaft nach Impfstoff gerufen, jetzt ist er da und die Impfquote flacht ab. Daher möchten wir dazu aufrufen, für sich, uns alle und das kulturelle Leben zur Impfung zu gehen, weil nur das im Herbst unsere Freiheit zurückbringen wird.
Das Motto bleibt bestehen
Warum behalten Sie das Motto der letzten Saison bei?
Einerseits aus nostalgischen Gründen: Wir haben 80 Prozent der Konzerte nicht spielen können. Da ist so viel hängen und liegengeblieben. Zweitens ist dass Thema "Nachbarn" durch die Pandemie auf veränderte Weise virulent, weshalb wir es aus einem neuen Blickwinkel und mit Werkzusammenstellungen wahrnehmen wollen.
Was ist geblieben?
Etwa Frank Martins "Cornet" nach Rilke mit Gerhild Romberger, Schumanns Cellokonzert mit Kian Soltani und einige Uraufführungen. Wenn wir Aufträge erteilen, sollen sie nicht nur in BR Klassik oder im Netz gespielt werden, sondern auch im Prinzregententheater. Außerdem habe ich viel Zeit und Energie investiert, um Werke von Avantgarde-Komponisten der ehemaligen DDR durchzusehen. Wir haben Werke von Georg Katzer und Friedrich Goldmann auf CD aufgenommen. Vielleicht gelingt es uns, diese Werke aus der DDR-Schublade rauszuholen.
"Ein Konzert hat auch viel mit Begegnung zu tun"
Ich fand die einstündigen Konzerte in der Himmelfahrtskirche inhaltlich dichter als manches normale, zweistündige Konzert mit Pause.
Viele Leute genießen das, auch den Beginn um 18 Uhr. Aber ein Konzert hat auch viel mit Begegnung zu tun. Dazu gehört eine Pausengastronomie. In einem einstündigen Konzert wäre eine Beethoven-Symphonie nicht machbar. Außerdem möchte ich nicht das schlechte Sandwich, bei dem Neue Musik zwischen eine Ouvertüre und ein bekanntes Werk gepackt wird. Aber wir denken auch intern über eine Weiterentwicklung der Konzertform nach.
Sie eröffnen die neue Saison mit der Ouvertüre eines unbekannten Komponisten. Wer war Anton Eberl?
Ein Schüler Mozarts. Er galt zeitweise sogar als ernstzunehmender Rivale Beethovens in Wien. Die Ouvertüre wurde wohl seit 200 Jahren nicht mehr gespielt. Die Nähe zu Mozart, zur Zauberoper und dem Exotismus einer "Entführung aus dem Serail" wird auch in seiner damals hoch geschätzten Ouvertüre zur Oper "Die Königin der schwarzen Inseln" hörbar.
Warum spielen Sie auch in der Isarphilharmonie?
Wir werden im umgebauten Carl-Orff eine Konzertreihe beginnen. Daher gehören wir zur Familie des Neuen Gasteig. In der Isarphilharmonie spielen wir ein Familienkonzert mit den Double Drums, einem Ensemble, das schon vor dem Umzug des Gasteig auf dem Gelände an der Hans-Preißinger-Straße geprobt hat.
Klassik trifft Jazz
Der zweite Termin in der Isarphilharmonie bringt Klassik und Jazz zusammen.
Wir haben lange überlegt, wie man beide Welten so verknüpft, dass weder das MKO noch die Jazzrausch Bigband unter ihrem Level spielen. Wir spielen Beethovens Siebte, die Bigband "Beethoven's Breakdown". Dazwischen führen wir gemeinsam "Workers Union" von Louis Andriessen auf. Da geht es darum, mit möglichst lauten Instrumenten eine packende Performance zu erzeugen.
Was wird es in der Pinakothek der Moderne geben?
In der "Nachtmusik" in der Pinakothek der Moderne widmen wir uns zum zweiten Mal der 90-jährigen großen Komponistin Sofia Gubaidulina, dem viel zu früh verstorbenen Italiener Fausto Romitelli sowie dem Komponisten und Gitarristen der Rockband The National, Bryce Dessner.
Das Aids-Konzert ist noch in Planung
Ich vermisse in Ihrem Prospekt das Aids-Konzert.
Es ist noch in Planung. Unser Engagement geht weiter.
Stimmt es, dass Sie das MKO verlassen werden?
Ich hatte einen Dreijahresvertrag, der um drei Jahre verlängert wurde. Es war für beide Seiten eines ertragreiche und inspirierende Zeit. Für mich war es die ideale Mischung. Ich freue mich, in die weite Welt aufzubrechen und trotzdem immer wieder zum Münchener Kammerorchester zurückzukehren, das sich in den nächsten Jahren noch einmal beträchtlich verjüngen wird. Ich schätze jeden einzelnen Musiker und bin hier zu Hause in meinem Klang. Andererseits sind sechs Jahre eine Frist, nach der man eine Zäsur setzen sollte.
Infos zur neuen Saison des Orchesters und zu Abos unter www.m-k-o.eu