Joyce DiDonato mit "War and Peace"

„In War and Peace“: Joyce DiDonato zeigt in der Philharmonie ein Gesamtkunstwerk aus Barockmusik, Gesang, Tanz und Licht – und gibt eine Idee, wie sich die Präsentation von Klassik weiterentwickeln sollte
Adrian Prechtel |
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Der russische Dirigent Maxim Emelyanychev und Joyce DiDonato nach dem Konzert im Gasteig. Oben rechts: Joyce DiDonato in den Kostümen von Vivienne Westwood („Im Krieg“ oben und „Im Frieden“ unten).
Brauer Photos / G. Nitschke Der russische Dirigent Maxim Emelyanychev und Joyce DiDonato nach dem Konzert im Gasteig. Oben rechts: Joyce DiDonato in den Kostümen von Vivienne Westwood („Im Krieg“ oben und „Im Frieden“ unten).

Am Ende nimmt sie ein Mikrophon in die Hand. Und Joyce DiDonato erzählt, wie sie am 13. November 2015 in ihrem Haus in ihrer Heimat Kansas saß, als die Nachricht von den Anschlägen in Paris eintrafen: „Angst, Trauer, Schmerz durchfluteten mich. Ich setzte mich ans Klavier, um wieder ruhig zu werden.“ Und die Mezzosopranistin beschloss, ein neues Konzertprogramm – eines, das anders sein sollte als die routinierte Hochklassik es sonst bietet, eines, in dem auch das Publikum befragt wird: „In War and Peace“ entstand.

Und so hatte jeder zur Eintrittskarte noch eine schöne Doppelkarte bekommen, auf der in zehn Sprachen die Frage stand: „Inmitten des Chaos: Wie finden Sie Frieden?“ Und Boxen standen im Foyer, wo man die Antwortkarten einwerfen konnte.

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Und was konnte man Außergewöhnliches in der Philharmonie erleben? Es begann schon damit, dass der Zuschauerraum dunkel blieb. Und wirklich: Sofort stellte sich eine unabgelenktere Konzentration ein auf das, was auf der Bühne geschah: In ihrem wild verschleierten Trauer-Hexen-Barockkleid von Vivienne Westwood saß DiDonato statuarisch im Hintergrund, die Musiker von Il Pomo d’Oro betraten im Dunkel die Bühne, knipsten ihre Notenbeleuchtungen an. Ein Tänzer, der wie ein manieristisch hindrapierter Toter regungslos im Vordergrund gelegen hatte, begann seinen Tanz, lockte DiDonato nach vorne, die beginnt zu klagen: „Schreckliches Unheil... nie zuvor haben mich böse Ahnungen mit solchen Schmerzen bedrängt.“

Der erste Teil, „In War“, beginnt mit Händel („Jephta“). Es folgt ein Wechselbad aus weiblichem Zorn über Grausamkeiten, Angst um Angehörige und Mut gegenüber den Barbaren (aus Leonardo Leos „Andromaca“). Mittlerweile ergänzen auch Projektionen auf die hölzerne Saalwand Musik, Tanz und Gesang: mit abstrakten Impressionen, die an Manga-Striche erinnern, in denen weiße Taubenfedern herabsegeln oder Tränentropfen, die auch einmal wie purpurne Blütenblätter wirken.

Reize und Fluten

Die Aufführung hat den Rahmen eines klassischen Gesangsabends da bereits komplett verlassen zugunsten einer Konzept-Show, wie es sie im Pop seit Jahrzehnten gibt, um unserer gewohnten Reiz- und Bilderflut-Moderne eine Live-Entsprechung zu geben. Das ist im klassischen Gewerbe noch relativ ungewohnt, so dass sich auch nur tausend Zuschauer locken ließen – trotz Klassikstar und meisterhaftem, intensivem Originalklang-Orchester. Aber es gelang: Das im Konservativen sogar sanft schrille Publikum war – samt der immer elegant würdigen Kessler-Zwillinge – elektrisiert.

Das Neue und so auch Interessante darf aber nicht über Schwächen hinwegtäuschen. Denn je mehr Gewerke im Spiel sind, desto mehr kann schief gehen oder sich schlecht zusammenfügen, als wenn es nur um Orchester und Gesang geht. In diesem Zusammenhang gab es sogar musikalisch Unschlüssiges, wie eine sanfte Seelen-Sinfonie (von Emilio de Cavalieri) inmitten des Kriegsteils oder das Schmerzenslied der Orazia aus Henry Purcells „The Indian Queen“ im „Friedens“-Teil nach der Pause.

Multimediale Form

Auch waren die Bildprojektionen (Henning Blum) letztlich banal und eine reine wechselnde Farbbeleuchtung hätte größeren Effekt erzielt. Auch der zwischen klassisch und modern changierende Tanz von Manuel Palazzo war seltsam unverbunden mit den Inhalten der Arien und ohne eigene Erzählung. Das gelang aber Joyce DiDonato mit dem Orchesterleiter Maxim Emelyanychev, auch wenn sich hier ebenfalls eine Spannung auftat zwischen dem klaren, warmen Barockklang und den Interpretationen der Amerikanerin. Denn Joyce DiDonato ist eine Meisterin des Ausdruckswandels, die über ihre Barockvirtuosität mit wunderbaren winzigen Arabesken auch Belcanto-Stil bis zum Verismo legen kann.

Das wiederum passt zu einem Konzept-Konzert, das über die Arien der Barockzeit eben auch eine Geschichte erzählen will und deshalb – wie ein Hollywoodfilm – die verschiedensten Mittel einsetzt, um plastisch zu sein. Und es war packend zu erleben, wie Joyce DiDonato in das schluckende Volumen der Münchner Philharmonie ihren Gesang in die Mitte des Raumes stellen kann, akustisch ganz nah an die Zuhörer heran.

Nach zwei Stunden „Krieg und Frieden“ war klar: Joyce DiDonato hat gezeigt, wie man die klassische Aufführungspraxis im Konzertsaal in eine passende, multimediale Form für das 21. Jahrhundert überführen kann. Das sollte zukunftsweisend sein, wenn man jünger und attraktiver werden will. Dann aber muss man künstlerisch strenger sein, damit sich ein Kunstwerk ergibt, das Musik-, Theater- und Kunst-Kritiker gleichermaßen überzeugen kann.

Das ist schwer. Aber wenn es gelingt, dann wird es umwerfend – gerade auch in einem Theater- oder Opernraum statt in einem Konzertsaal.

Bei Erato ist „In War and Peace“ auf CD und als DVD erschienen
 

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