Kritik

Johnny Depp beim Tollwood: Ein Star träumt vom Rock'n'Roll

Johnny Depp und der Gitarrist Jeff Beck spielen ein gutes Stündchen beim Tollwood-Festival.
von  Dominik Petzold
In München waren keine Pressefotografen zugelassen: Hier der britische Gitarrist Jeff Beck (links) mit Johnny Depp bei einem gemeinsamen Auftritt in der Royal Albert Hall in London.
In München waren keine Pressefotografen zugelassen: Hier der britische Gitarrist Jeff Beck (links) mit Johnny Depp bei einem gemeinsamen Auftritt in der Royal Albert Hall in London. © Raph Pour-Hashemi/PA Media/dpa

"Das ist ein ganz berühmter Schauspieler", erklärt die Mutter der ungefähr zehnjährigen Tochter. "Ich glaub', der spielt heute mit seiner eigenen Band." Das Gespräch, das man auf dem Weg zum Tollwood-Gelände aufschnappt, demonstriert, was ohnehin klar war: Nicht nur das typische Rockpublikum kommt in die Musikarena zum Konzert des ewigen Wundergitarristen und seines Weltstar-Kompagnons. Sondern eben auch Mütter, die von Jeff Beck noch nie gehört haben, und Kinder, die die einmalige Chance bekommen sollen, den leibhaftigen Johnny Depp zu sehen, selbst wenn sie noch zu klein sind, um von Captain Jack Sparrow oder Hollywood-Schlammschlachten gehört zu haben.

6.000 Zuschauer für Johnny Depp

Und so ist es für den 78-jährigen Jeff Beck sicher ein später kommerzieller Volltreffer, dass sein berühmter Fan Johnny Depp sich mit ihm zusammengetan hat. Vor dem Tollwood-Zelt stehen zwar auch Rockfans, auf deren T-Shirt der Jeff Becks Name prangt. Aber der könnte sicher nicht annähernd die Musikarena füllen, hätte er nicht den Filmstar an seiner Seite.

So aber kommen 6.000 Zuschauer und gehen mit gemischten Erwartungen ins ausverkaufte Zelt: Die einen wollen den Hollywoodstar sehen, fotografieren, filmen und vielleicht auch seine Musik kennenlernen. Die anderen wollen Jeff Becks Gitarrenkünste hören.

Jeff Beck präsentiert sein Alleinstellungsmerkmal

Diese werden zuerst bedient. Der 78-jährige Engländer kommt um 20 Uhr auf die Bühne und macht routiniert sein Jeff-Beck-Ding: Er holt einen Klang aus seiner Gitarre, den kein Mensch kopieren kann. Er zieht an den Saiten und zugleich am Tremolo-Hebel seiner Stratocaster und verbindet so auf unnachahmliche Weise die Noten, ob rasend schnell oder zart und langsam: Die zwölf Töne sind ihm nicht genug, er bewegt sich ständig auch zwischen ihnen. Und er schlägt die Saiten nicht mit Plektrum, sondern zupft, hämmert und streichelt mit den bloßen Fingern seiner rechten Hand, und der Sound, der so entsteht, ist ein ewiges Alleinstellungsmerkmal.

Nach 35 Minuten folgt Johnny Depp

Mit seinem Trio - einem Keyboarder und einer weiblichen Rhythm Section mit der deutschen Schlagzeugerin Anika Nilles - spielt er eine Fusion, die mehr Hard Rock ist als Jazz, der Stil also, den er 1980 auf dem Album "There & Back" für sich gefunden hat. Mit dessen Opener "Star Cycle" geht es auch hier los, später folgt "You Never Know", und dazwischen spielt er Nummern von hier bis dort: ob "Caroline, No" von den Beach Boys oder "You Know You Know" vom Mahavishnu Orchestra seines Gitarrenheld-Kollegen John McLaughlin. Die Fusion zündet - doch nur 35 Minuten lang. Dann betritt ein Mann mit Zigarillo im Mund die Bühne und Tausende Handys werden in den Kameramodus gestellt.

Natürlich trägt Johnny Depp vollen Rockstar-Ornat: An ihm hängen zahllose Ketten, Ringe, Armbänder und eine Telecaster-Gitarre im Reptilienhaut-Look. Da würde jede Hollywood-Kostümbildnerin zufrieden nicken, und als Depp und Beck das ikonische Gitarreninstrumental "Rumble" von Link Wray raushauen, denkt man, ja, das könnte tatsächlich ein Spaß werden. Doch halt, nein, sogleich kommt es anders: Beim zweiten Stück beginnt Johnny Depp zu singen.

Gesangskarriere für Johnny Depp? Lieber nicht

Und das sollte er nicht tun. Nicht mit diesem dünnen Stimmchen, nicht neben Jeff Beck. Würde sich Johnny Depp an diesem Abend verkleiden und in einem kleineren Tollwood-Zelt mit einer Münchner Amateur-Band auftreten, würde er nicht weiter auffallen: Nicht negativ, denn er trifft die Töne. Aber eben auch nicht positiv, denn in seiner Stimme liegen weder Kraft noch Ausdruck.

Im Studio lässt sich das natürlich kaschieren: Auf dem heute erscheinenden gemeinsamen Album "18" von Beck und Depp ist der Gesang kein Problem. Aber live eben schon: Die Stimme setzt sich nur schwer durch, obwohl die Band oft leise spielt und sich Jeff Beck zurücknimmt wie möglicherweise noch nie in seiner Karriere.

Ist die Songauswahl der Fehler? Mit "Isolation" von Wahnsinnssänger John Lennon tut sich Depp jedenfalls keinen Gefallen, und auch die getragenen, langen Töne von Dennis Wilsons düsterer Ballade "Time" weiß er nicht mit Leben zu füllen. Doch selbst "Little Wing" klingt nicht recht, und dabei ist Jimi Hendrix nicht wegen seines Gesangs in Erinnerung geblieben.

Technische Hilfsmittel unterstützen merklich

Ein wenig besser ist es bei dem im Bass geraunten "Venus In Furs" von The Velvet Underground. Und "The Death And Resurrection Show" von Killing Joke ist dann der erste Song, bei dem die Band samt Sänger gut klingt und richtig rockt: Denn hier ergänzt ein Effektgerät Depps Stimme um eine tiefere Version ihrer selbst - und so reicht das Volumen, um mit einer Rockband mitzuhalten.

Doch danach ist prompt Schluss. Um 21.04 Uhr. Jeff Beck kommt zur Zugabe zurück, spielt kurz "Corpus Christi Carol" und dann seine Instrumentalversion des Beatles-Songs "A Day In The Life". Da beehrt auch Johnny Depp noch mal das Publikum, ohne dass sein Spiel wahrnehmbar wäre. Doch um 21.11 Uhr ziehen die beiden die Gitarren über ihre Hälse, winke winke, das Licht geht an, die Show ist vorbei.

Das Publikum ist unschlüssig, ob es das ernsthaft schon gewesen sein soll, ein paar pfeifen, die allermeisten aber gehen friedlich von dannen. Auf den Großleinwänden wird ihnen Johnny Depps nächstes München-Gastspiel empfohlen, im nächsten Jahr mit den Hollywood Vampires, die zum Glück mit Alice Cooper einen Sänger an Bord haben.

64 Euro für den Eintritt haben sich nicht wirklich gelohnt

Da kann der Filmstar dann seinen Rock'n'Roll-Traum weiterleben. Aber für heute stehen noch ein paar Fragen im Raum des Tollwood-Zelts: Wieso reist da einer quer durch Europa, um alle paar Abende für gerade mal eine halbe Stunde auf die Bühne zu gehen? Und wie sehr hat sich wohl mancher Fan geärgert, der für eine 70-Minuten-Show 64 Euro gezahlt hat?

Die Kürze dieses Konzerts konnten wohl bestenfalls Mütter würdigen, die ihrem Kind einmal den leibhaftigen Johnny Depp zeigen und es dennoch zeitig zu Bett bringen konnten.

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