John Eliot Gardiner dirigiert Verdis Requiem
Was für Chor! Was für ein farbig und ohne jede falsche Routine spielendes Orchester! Und was für eine existenziell ernste Deutung dieser Totenmesse durch den Dirigenten John Eliot Gardiner, der den Weg von der Erschütterung zur Tröstung im „Dies irae“, aber auch im gesamten Werk über 90 Minuten im Gasteig mit dem Monteverdi Choir und dem Orchestre Révolutionnarie et Romantique nachgezeichnet und verdeutlicht hat.
Bei diesem Werk erzeugen viele Dirigenten gleich zu Beginn durch leises Chor-Geflüster eine mystische Stimmung. Gardiner entschied sich, begünstigt durch das vibratoarme Spiel der Celli, für Klarheit und die eher unromantische Haltung zeitlos strenger Kirchenmusik. Die oft unterschlagenen vier Solo-Soprane beim „Dona, dona eis Domine“ gleich auf der zweiten Seite der Partitur hoben sich klar und deutlich von den übrigen Stimmen ab. Das Fugato „Te decet Hymnus“ kontrastierte im von Verdi gewünschten Forte deutlich – ohne lauwarmes Mezzoforte. Der Monteverdi Choir sang klar und deutlich, weniger auf eine romantische Rundung bedacht, in einem kantig-kalten Klang, der deutlich machte, dass hier lauter Solisten zu einem Kollektiv zusammenfinden.
Dramatik ohne Theatralik
Es ist ein Tonfall, der vielleicht nicht bei Brahms passen würde, aber sehr gut zu Verdis Dramatik. Die entfesselte Gardiner im „Dies irae“. Die Schläge der Großen Trommel klangen – wie vom Komponisten ausdrücklich gewünscht – „trocken und sehr laut“ wie Kanonenschüsse. Das knackige Blech dröhnte. Ohne jede falsche Opernhaftigkeit, dafür mit existenziellem Ernst wurde hier das Ende der Welt auf die Konzertbühne gestellt – bis zum Weltuntergang in einem Schreckenston der vier gestopften Hörner, ehe dann der Bassist das Kommen des Jüngsten Gerichts verkündet.
Eindringlicher wie von Gianluca Buratto hat diese Stelle wohl noch niemand gesungen. Der Bassist erschütterte den Hörer mit ehern-schwarzer Bassstimme ohne den hier fatalen Beigeschmack von italienischer Oper, der sich bei mittleren Aufführungen dieses Werks ganz leicht einstellt. Zusammen mit Corinne Waters (Sopran), Ann Hallenberg (Mezzosopran) bildete er ein ernsthaftes, jeder Theatralik abholdes Ensemble, zu dem nur der etwas theatralisch singende Tenor Edgaras Montvidas nicht ganz passte.
Gardiner betonte die Schwärze, den Pessimismus und das Düstere der Musik. Und die an Berlioz’ „Symphonie fantastique“ erinnernde Totentanz-Groteske der vier Fagotte, die auf Nachbauten alter Instrumente viel fahler klingt als sonst. Der Dirigent arbeitete sehr klar heraus, wie sehr Verdi hier gegen die katholische Liturgie ankomponiert hat, die eher die Zuversicht der Erlösung betont, die in diesem Requiem bis zuletzt vom Zorn Gottes und der drohenden Vernichtung der Welt bedroht bleibt.
Es ist jedes Mal überraschend, welche Entdeckungen möglich sind, wenn sich ein Dirigent bei einem bekannten Werk nicht auf Tradition und sein Handwerk verlässt, sondern gründlich jeden Takt noch einmal auf seinen Sinn hin befragt. Und es ist auch erstaunlich, wie gut Gardiner mit seinen eigenen, auf ihn eingeschworenen Ensembles sein kann – als regelmäßiger Gast bei Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks enttäuscht er regelmäßig. Und das nicht einmal auf mittlerem Niveau.
Am 23. und 24. Mai dirigiert John Eliot Gardiner beim BR-Symphonieorchester Werke von Joseph Haydn und Robert Schumann im Herkulessaal, Karten: Telefon 0800 5900 594