James Last und die erste Diskothek
Er nimmt die Sache gleich selbst in die Hand und serviert dem Interviewer in der Suite im Bayerischen Hof ein Glas Wasser, bevor die Pressedame auch nur dienstfertig einschreiten kann. Mit so einem, man ahnt es, geht man gerne auf Tour. Am 18. April kommt James Last mit seinem Orchester in die Olympiahalle. Eben erschienen ist „The America Album“, ein verschollenes Werk von 1969.
AZ: Herr Last, eine meiner frühen Kindheitserinnerungen ist Ihre Ännchen-von-Tharau-Platte.
JAMES LAST: Da habe ich einen der ersten Fanbriefe aus Kanada bekommen. Einer hat aus Vancouver geschrieben, ob er die Adresse von Ännchen von Tharau haben könnte, er würde sie gerne heiraten.
Die kommende Tour soll Ihre letzte werde, kann aber auch verlängert werden?
Habe ich doch gesagt. Gleich drunterschreiben: Verlängert bis 2020. Wenn es zu Ende ist, ist es zu Ende.
Sagt Ihre Frau nicht irgendwann: Jetzt komm mal heim?
Sie gibt sich dann geschlagen, wenn’s wieder weitergeht.
Sie haben allein 208 Goldene Schallplatten und 17 Mal Platin. Wo hängen denn die?
Die stehen in der Ecke rum. Die echt goldenen sind auf der Bank, in einem Safe.
Haben Sie selber einen Überblick über Ihre Diskografie?
Nee, hab’ ich auch nicht richtig. Ich hab’ mich gewundert. Meine Frau hat die Wohnung aufgeräumt und hat alte Papiere gefunden. Da hat sie gesehen, dass die Schallplattenfirma bis vor fünf Jahren nur die Goldenen gezählt hat.
Haben Sie Musik auf Festplatte?
Auf LP auch noch. Aber ich höre eh selten etwas von mir selbst an. Da bin ich manchmal überrascht, wie toll das klingt, die alten Aufnahmen. Die Platte die jetzt veröffentlich wird, das sind ja alles alte Titel, die ich vor 40 Jahren aufgenommen habe.
Ich war überrascht, wie aktuell die Aufnahmen klingen.
Das sagt jeder. Ich staune Backsteine, ehrlich. Ich dachte, was sollen die mit so einem Scheiß, das ist doch 40 Jahre alt.
Wenn Sie die Platte wieder hören, was denken Sie da?
Die muss ich mir erst mal wieder richtig anhören.
Warum wurde das damals nicht veröffentlicht?
Die Platte war nicht als Platte fertig. Das waren einzelne Titel, die irgendwo mal über geblieben waren. Jetzt beim Renovieren hat die Plattenfirma festgestellt, da sind noch welche im Schrank, die haben wir gar nicht im Katalog stehen.
Sie haben eine unglaubliche Menge an Aufnahmen bewältigt.
In einem Jahr hat man damals tatsächlich zwölf Platten gemacht. Früher war ja alles nur auf Zweispurband.
Sie dirigieren mit dem Rücken zum Orchester.
Die wissen alle, worum es geht. Ich schreibe alles selbst am Computer und habe meine Soundgeräte. Die Musiker bekommen die Sachen vier bis sechs Wochen vor der Tournee geschickt. Und wenn wir zwei Tage vor dem ersten Konzert zur Probe kommen, muss ich nur so machen (reißt die Arme nach oben) – da weiß jeder, was kommt.
Als Arbeit sehen Sie das nicht.
Ist ja auch keine Arbeit. Es braucht Zeit. Ich muss umsetzen, was ich höre und fühle.
In Ihrem Kopf ist ständig Musik?
Will ich nicht sagen. Die Umwelt gibt uns ja so viel – wenn wir sie wahrnehmen würden. Kinder gehn ja heute nicht mal mehr in den Wald. Die wissen ja gar nicht, wie ein Wald klingt. Die gehen nach Hause und machen den Fernseher an.
Das Bandklima soll bei Ihnen so familiär sein.
Ich vermisse es, wenn wir nicht unterwegs sind. Immer Gespräche. Da sind welche aus Australien und Neuseeland dabei. Ein Mädchen aus Peru, eine aus Petersburg. Der eine ist Rocker, der andere Jazzer, der andere aus einem Symphonieorchester. Die Streicher spielen zum größten Teil fest in Symphonieorchestern und sparen ihre freien Tage auf, um mit uns auf Tournee zu gehen.
Hatten Sie schon während des Krieges Verbindung zum Jazz?
Wir haben das schon an der Musikschule gespielt. Als wir abends zusammengesessen haben, haben wir versucht, mit mehreren Leuten zu swingen. Da hab’ ich sogar Schlagzeug gespielt.
Die Reglementierung machte es ja nicht einfach.
Wir haben falsche Titel auf die Noten geschrieben, deutsche Namen.
Sie profitierten nach dem Krieg von der Sehnsucht nach dem Tanzen.
Die Beatles haben ja nicht diesen Swing-Rhythmus gemacht. An denen habe ich mich orientiert. Ich dachte, das ist eine Lücke. Wir waren die Ersten, die Beatles-Songs gespielt haben. Die jungen Leute haben gemerkt: Mensch, die Alten tanzen ja nach unserer Musik. Da kam mir der Gedanke, eine Platte zu machen, die nicht aufhört. Ein Stück am anderen: „Non Stop Dancing“. Das war die erste Diskothek, die es gab.