Ivan Repusic dirigiert Rachmaninow

Seit 2017 steht Ivan Repusić dem Münchner Rundfunkorchester vor. Wenn das letzte der Konzerte repräsentativ wäre, würde eine erste Bilanz - ehrlich gesagt - nicht besonders rosig ausfallen.
Repusić dirigiert, was zunächst einmal wärmstens zu begrüßen ist, in konzertanten Aufführungen zwei bedeutende, skandalöserweise selten gespielte Einakter von Sergej Rachmaninow. Doch nicht nur sitzen die Musikerinnen und Musiker im Prinzregententheater in unerklärlicher Distanz zum Dirigentenpult.
Mit Höchstnote bewertet
Vor allem drängt sich der Eindruck auf, als ob sie von ihrem Chef wie durch eine Art Glasscheibe voneinander getrennt wären. Repusić hat keinen direkten Zugriff, weder auf die Streicher unmittelbar vor ihm, noch auf die Bläser im Hintergrund. Er kann sie quasi nicht an den Händen fassen, sodass gleich der erste Einsatz von bloß vier Holzbläsern zum Vorspiel von "Aleko" nicht gleichzeitig erfolgt und außerdem zu laut ist.
Rachmaninows erste Oper ist ein Jugendwerk, 1892 als übrigens mit Höchstnote bewertete Abschlussarbeit am Moskauer Konservatorium entstanden. Der noch studierende Komponist hat noch keinen ausgeprägten Sinn für Dramatik und Tempo. Umso wichtiger wäre es, mit einer subtilen Agogik vorzugehen, den durchgehend moderaten Bewegungsgestus voranzudrängen. Doch statt zu raffen, buchstabiert Repusić Takt für Takt aus, lässt die Spannung immer wieder abreißen, verbreitet bleierne Statik.
Angebote an Ausdruck werden ignoriert
Zugegeben: Im ungleich reiferen späteren Opernwerk Rachmaninows, dem zweiten seiner drei Einakter: "Francesca da Rimini" (1905) wird der Chefdirigent etwas munterer: Dem Sog, der sich durch die meisterhaft verdichteten Seufzermotive ergibt, kann auch er sich nicht entziehen; fulminant einstudiert von Stellario Fagone, zieht der Chor des Bayerischen Rundfunks das Publikum mit seinen wortlos markerschütternden Klagen in die sprichwörtlich Dante'schen Höllenkreise hinein. Aber auch hierbleibt unerklärlich, wie beharrlich Repusić sämtliche Angebote an Ausdruck ignoriert, wie er sich damit zufrieden gibt, dass Holz und Blech ihre Motive auszählen, anstatt Heulen und Zähneklappern zu verbreiten, wie kraftlos alles bleibt.
Das theatralische Moment zu realisieren, lastet allein auf den Protagonisten, die jeweils zwei Rollen zu verkörpern haben. Die russische Sopranistin Kristina Mkhitaryan kleidet die Semfira aus "Aleko" wie die Francesca aus der "Göttlichen Komödie" in kostbar weinroten Samt, der sich in den Duetten geradezu szenisch anschaulich um die blitzende tenorale Klinge ihrer von Andrei Danilov gesungenen Liebhaber hüllt. Den eifersüchtigen Titelhelden von "Aleko" und seinen Gegenpart Malatesta in der "Francesca" kreiert der gebürtige Litauer Kostas Smoriginas. Mit seinem rauen, unbehauenen Bassbariton rückt er dem Publikum so bedrohlich nahe, wie es eigentlich auch das Münchner Rundfunkorchester tun müsste. Dass dem nicht so ist, damit da kein Missverständnis aufkommt, ist allein dem stets merkwürdig unbetroffenen Ivan Repusić zuzuschreiben.
Darf man Puschkin korrigieren?
Weil es in unseren Zeiten, in denen guterweise und hoffentlich unumkehrbar die Sensibilität für diskriminierende Sprache gestiegen ist, einen entsprechenden Hinweis im Programmheft gibt, sei noch eine Anmerkung gestattet zum Sujet von "Aleko", der im Zigeunermilieu spielt: Darf man dieses berüchtigte "Z-Wort" aussprechen? Ja, in diesem Kontext schon.
Denn das zugrundegelegte "Südliche Poem" von Alexander Puschkin heißt "Die Zigeuner", und es ist nicht von Sinti und Roma die Rede, sondern von einer literarisch-theatralisch fiktiven Gruppe, die zudem gemäß der Gattungskonvention keineswegs herabwürdigend dargestellt wird. Und abgesehen davon: Wollen wir es uns ernsthaft gestatten, in ein Sprachkunstwerk vom Range eines Puschkin einzugreifen?
Ein Mitschnitt auf www.rundfunkorchester.de