Isarphilharmonie: Soldat Schwejk im Sternenkrieg

Erfahrungsgemäß lässt sich einmal pro Konzertsaison das seltsame Phänomen beobachten, dass sich Repertoire-Raritäten gegenseitig anziehen. Ende Oktober dirigierte Jakub Hruša am Pult des BR-Symphonieorchesters das "Mysterium der Zeit" von Miroslav Kabeláè in der Isarphilharmonie. Nun war dieses Stück schon wieder zu hören - diesmal mit den Münchner Philharmonikern.
Oft im Programm: Kompositionen von Julian Anderson
Beide Orchester hatten diese Woche außerdem neue Werke des Briten Julian Anderson auf dem Programm. Und das BR-Symphonieorchester hätte - wenn das Konzert nicht wegen Infektionen unter den Musikern ausgefallen wäre - Rachmaninows rare Dritte gespielt, die eben mit dem Bayerischen Staatsorchester im Nationaltheater zu hören war.
Zufall? Verschiedene Orchester führen gleiche Raritäten auf
Die Verantwortlichen sind immer überrascht, wenn sie auf solche Dopplungen angesprochen werden. Und weil jedes Orchester sein eigenes Publikum hat, fällt dergleichen auch nur Journalisten auf. Sich aber fern vom klassischen Repertoire wiederum an denselben Raritätentöpfen zu bedienen, bringt ja auch keine Vielfalt. Einen Wunsch hätten wir also: Kabeláès "Mysterium", das wegen seiner lärmenden und eher mäßig instrumentierten Attacken im Mittelteil genauso "Der brave Soldat Schwejk im Krieg der Sterne" heißen könnte, muss nicht auch noch beim Bayerischen Staatsorchester auftauchen.
Anderson: Komposition über Prag, ohne je dort gewesen zu sein
Über Julian Anderson hingegen sei nicht so hart gerichtet. Der 1967 in London geborene Komponist war anwesend und gestand in einer improvisierten Einführung, ein Werk über Prag komponiert zu haben, ohne die Stadt je betreten zu haben. Anderson verstrickte sich zwar ein wenig in Widersprüche, weil er behauptete, seine "Prague Panoramas" seien keine Programmmusik, er andererseits aber alles aus bestimmten Ereignissen und Eindrücken ableitete. Wichtiger: Sein kurzer Auftritt war kauzig genug, um dem Werk eine Sympathie zu sichern, die es sonst vielleicht nicht bekommen hätte. Woraus sich die Regel ableiten lässt, dass solche kurzen Einführungen bei Uraufführungen außerhalb spezialisierter Reihen sinnvoll sind.
Auf einen rhythmisch betonten, recht konzisen und in lichten Farben instrumentierten ersten Satz folgt ein - wie Andersson es nannte - Notturno, das Glocken sehr reizvoll mit glockenähnlichen Instrumenten von Schellen bis zum Vibrafon kombiniert. Den stärksten Eindruck hinterließ aber eine langgezogene Melodielinie für vier Flöten, die jedoch etwas isoliert blieb. Es ist eine Musik in der britischen Tradition, die an Britten anknüpft und den Hörer mitnimmt, ohne allzu billig auf übliche Hörgewohnheiten Rücksicht zu nehmen.
Dirigent Bychkov: Dvorák und Sibelius mit viel Kraft und Feingefühl
Danach dirigierte Semyon Bychkov die unverwüstliche Symphonie Nr. 9 "Aus der Neuen Welt" von Antonín Dvorák: energiegeladen, kraftvoll und mit sanft dosierter Melancholie im langsamen Satz mit dem wunderschönen, von Kai Rapsch geschmackvoll geblasenen Englischhornsolo. Nach dem merkwürdig blassen Sibelius-Doppel der letzten Woche wirkten die Philharmoniker wie ausgewechselt: Bychkov dosierte die Kraft des Blechs, die Schönheit der Holzbläser und den satten Klang der Streicher so, dass sie in der transparenten Akustik der Isarphilharmonie zur maximalen Wirkung kamen, ohne den Eindruck eines Furioso orchestraler Selbstdarstellung entstehen zu lassen.
Großartiger Saal benötigt guten Dirigenten
Wieder zeigte sich: Der neue Saal ist großartig, wenn man etwas deutlich machen will. Unentschiedenheit mag die Akustik hingegen gar nicht. Da wird sie blasser, als sie ohnehin schon ist. Deshalb ist ein hörender Dirigent unverzichtbar, gerade bei Werken, die alle auswendig können. Und die stehen bekanntlich oft genug auf dem Programm.
Die dritte Uraufführung folgt am 28. Januar: Giedre Šlekyte dirigiert "Diary of a Madman" von Lera Auerbach für Violoncello und Orchester in der Isarphilharmonie.