Isarphilharmonie: Lang Lang spielt Beethoven
Eine für Lang Lang typische Pose ist diese: Er lehnt sich mit bedeutungsvollem Gesicht auf dem Klavierhocker zurück und startet mit der rechten Hand einen tatkräftigen, gleichsam gut geölten Triller, der stets länger zu dauern scheint, als es in den Noten steht. Dann beugt er sich wieder vor und regelt die Lautstärke steil herunter, sodass man sein Spiel wohl sogar in der trockenen Isarphilharmonie nicht mehr auf jedem Platz gut hören kann.
Ganz anders dagegen das Mahler Chamber Orchestra. Unter der Stabführung von Andris Nelsons tritt das demokratisch selbstverwaltete Ensemble in ungewohnt starker Besetzung auf. Doch einerseits hat der Gastdirigent ganz offenkundig minutiös geprobt, andererseits spielen die phantastischen Bläsersolisten mit ansteckend lustvoller Attacke, und höre da: Selbst bei einem allseits so präsenten Werk wie dem Klavierkonzert Nr. 3 von Ludwig van Beethoven setzen sich Stimmen und Details durch, die vielen bislang noch nicht aufgefallen sein dürften.
Gerade in Beethovens Konzerten haben Solist und orchestrale Gemeinschaft oft widerstreitende Positionen. Doch hier treten der chinesische Pianist und das international besetzte MCO nicht bloß auseinander, um dann wieder zusammenzufinden. Vielmehr nutzt Lang Lang die Kolleginnen und Kollegen weitgehend bloß als Kulisse, vor der er sich ziemlich einseitig in Szene setzt. Manche Passagen spielt er sogar plötzlich in einem viel schnelleren Tempo, sodass im Taktgefüge kleine Lücken entstehen und selbst Andris Nelsons, der mit Argus-Ohren auf ihn achtet, keine Chance mehr hat, mit dem Ensemble nachzufolgen.
In der Hochphase der Pandemie, als Lang Lang in einem Solo-Rezital Werke von Johann Sebastian Bach und Robert Schumann spielte und dabei, die Lockdown-Erfahrungen noch in den Knochen, interpretatorisch persönlich wurde, war es noch leicht, über seine Privatmeinungen hinwegzusehen. Doch hier ist es einfach zuviel.
Nur ein paar Beispiele aus dem Notizbuch des Rezensenten: Oft, viel zu oft, richtet Lang den Spot auf eine Hand, meistens die rechte, und hüllt die andere in undurchdringlichen Nebel. Ohne Not lässt er bei Tonleitern das Verwischer-Pedal liegen, was zu pseudo-impressionistischen Klangwolken führt. Überhaupt ist sein Anschlagsspektrum mit entweder schmusig verhauchten oder just herausgezerrten Phrasen so eng, dass es dem Vergleich mit der Vielschichtigkeit etwa eines Rudolf Buchbinder oder Igor Levit nicht standhält.
Vor allem aber missversteht Lang Lang das komplexe Wechselspiel von persönlichem Involvement und Sachlichkeit, das für Beethovens Musik wesentlich ist, wenn er jede Gelegenheit zur hemmungslosen Empfindelei nutzt.
Dabei macht es das Mahler Chamber Orchestra doch in den beiden rahmenden Werken Beethovens so gut vor: In der "Coriolan"-Ouvertüre erwächst die Spannung aus der atemberaubenden Strenge, mit der Andris Nelsons das Tempo hält. In der Symphonie Nr. 5 befeuern die exquisiten Musikerinnen und Musiker (allein die vier Kontrabässe!) die Konflikte zwischen einem überlebensgroßen Tutti und faszinierend fahlen, an Dmitri Schostakowitsch gemahnende Pianissimo-Wirkungen.
Drei Werke von Beethoven stellt dieses Programm zusammen, alle in derselben Tonart c-moll. Anstatt diese effektvolle Konzentriertheit etwa mit einem der vielen kürzeren Klavierwerke von Beethoven in c-moll als Zugabe durchzuhalten, zerstört sie Lang Lang mit einem völlig deplatzierten Song aus dem Film-Musical "Mary Poppins".
Das passt zu einem Solisten, von dem man wünscht, er würde in Zukunft weniger selbstherrlich agieren und mehr auf seine künstlerische Umgebung achten. Von Andris Nelsons und dem Mahler Chamber Orchestra könnte er dabei noch viel lernen.